„Wer hat Zeit? Wer hat Zeit? Aber wenn wir uns niemals die Zeit nehmen, wie können wir dann jemals Zeit haben?“
Film „Matrix Reloaded“
Im Umkehrschluss zu diesem Zitat stellt sich die Frage, wer denn die Zeit hat, die wir so vergeblich zu suchen scheinen.
Wo ist die Zeit abgeblieben?
Jeder hat vermutlich schon einmal eine dieser Statistiken gelesen oder gehört, wonach man X-Stunden pro Tag auf der Toilette, im Stau oder im Bett verbringt. So schaut beispielsweise in Deutschland der „Durchschnittsbürger“ am Tag 223 Minuten Fern. Das macht auf ein Jahr gerechnet mehr als 56 Tage, also fast zwei Monate.
Für manche Männer kaum vorstellbar, doch nicht ganz so gravierend ist die Statistik, wie lange Frauen im Durchschnitt vor dem Kleiderschrank verbringen. Hier summieren sich, auf das Jahr gerechnet, ca. 65 Stunden, also 2,7 Tage (Wir wollen an dieser Stelle bewusst die Frage außen vor lassen, ob bei halbierter Kleidungsanzahl auch die benötigte Zeit halbiert werden könnte, oder ob womöglich das Gegenteil der Fall wäre).
OK, zum Rasieren wird auch einiges an Zeit aufgewendet und mancher Herr würde hier unter Umständen Zeit einsparen wollen, um dem Wildwuchs seinen Lauf zu lassen. Man muss also unterscheiden, zwischen den notwendigen und den unnötigen Zeit-Investitionen, weshalb die tägliche Nahrungsaufnahme oder der Stuhlgang beispielsweise nicht zur Diskussion stehen sollten. Um die vollen 24 Stunden eines Tages zu „verbrauchen“ spielt sich allerdings jeden Tag noch eine ganze Menge mehr ab.
Ist der 8-Stunden Arbeitstag noch zeitgemäß?
Wenn wir an unseren täglichen Zeitverbrauch denken, dann denken wir meist in erster Linie an die Arbeit, zu der wir uns im Regelfall vertraglich verpflichtet haben. Laut Statistik verbringt der Deutsche hier im Schnitt 41,4 Stunden pro Woche. Also etwas mehr als 8 Stunden pro Tag. Rechnen wir dann noch die An- und Abfahrt dazu, haben wir bereits einen großen „Zeitverbraucher“ lokalisiert.
In der Politik noch nicht so sehr präsent, in wirklich unabhängigen Medien allerdings schon vielfach diskutiert, sind eine Regelarbeitszeitverkürzung und das damit oftmals einhergehende bedingungslose Grundeinkommen.
So plädiert Niko Paech, ehemaliger Professor an der Uni Oldenburg, bereits seit längerer Zeit für eine 20 Stunden Arbeitswoche. Dabei geht es ihm bei dieser Forderung nicht nur um die reine Verkürzung der Arbeitszeit. Die dadurch frei gewordene Zeit ist seiner Ansicht nach essentiell zur Reduzierung des Ressourcenverbrauchs.
„Zeit ist die Ressource, welche benötigt wird, wenn ich anstelle des Kaufs eines Brotes selbst eines backe oder anstelle der Neuanschaffung eines Möbels das alte Exemplar repariere. Zeit ersetzt Geld, Rohöl und Industrieproduktion.“1
Nun haben leider nicht alle die Freiheit für sich zu entscheiden, ob sie lieber mehr Geld oder doch lieber mehr Zeit hätten. Einer bekannten Redewendung zufolge müsste es sogar egal sein.
„Zeit ist Geld“ – eine Redewendung die sicherlich jeder kennt. Aber ist es nicht eigentlich viel zu schade, die knapp bemessene Zeit in Geld aufzuwiegen? Eine Umstellung der Redewendung, wie im Matheunterricht gelernt, zu „Geld ist Zeit“ dürfte jedenfalls nicht funktionieren, womit erste Gleichung eigentlich auch nicht korrekt sein kann.
Schlussendlich muss jeder „live“, jede Sekunde entscheiden, welche der Gleichungen er wählt, denn der Moment der vorüber ist, den kann einem das Geld nicht wieder bringen.
Verheißungsvolle „Zeitsparer“
Wer nicht mit dem Chef über seine Arbeitszeit diskutieren will oder kann, dem werden unter Umständen in regelmäßigen Abständen verheißungsvolle „Zeitsparer“ präsentiert. Meist natürlich unter anderen Synonymen getarnt.
Der technische Fortschritt macht es uns möglich immer mehr Dinge in immer kürzerer Zeit zu bewältigen, was im Normalfall dazu führen müsste, dass wir alle mehr Zeit haben. Das ist jedoch merkwürdigerweise nicht der Fall.
Der Landwirt besaß früher beispielsweise wesentlich schlechtere und ineffektivere Gerätschaften, trotzdem hat er durch diese technischen Innovationen heute nicht mehr Zeit.
Oder die Verkehrsanbindungen haben sich in den vergangenen Jahrzenten deutlich verbessert. Doch je schneller und besser wir von A nach B kommen, desto mehr und häufiger fahren wir.
Das „Mehr an Zeit“ wird durch ein „Mehr an Output“ kompensiert, so dass am Ende kein Zeitgewinn, womöglich sogar ein Zeitverlust das Resultat ist. Ein typisches Beispiel für den Rebound Effekt. Wir sorgen durch den technischen Fortschritt lediglich für eine Art Verdichtung unserer Zeit.
Die kleinen Zeitkiller
Minimalisten haben meist mehr Zeit, was prinzipiell erst einmal gegen ihre Philosophie sprechen dürfte, denn Minimalisten haben aus Überzeugung ja eigentlich eher sehr wenig. Doch genau aus diesem Weniger resultiert ihr Mehr an Zeit.
Wie im abschließenden Absatz des Artikels „Der Letzte räumt die Erde auf“ beschrieben, nimmt jeder Gegenstand einen bestimmte Zeit unseres Lebens in Anspruch. Eine Vase beispielsweise, die gekauft wurde um „nur“ auf der Fensterbank zu stehen, will gekauft, nach Hause transportiert, ausgepackt, aufgestellt, mit Wasser gefüllt und jedes Mal auf den Boden gestellt werden, wenn man das Fenster öffnet (letzteres ist meist mein Part). In der Summe kommt da einiges an Zeit zusammen und wenn man sich Zuhause einmal genau umsieht, so gibt es viele Dinge, die in der Summe einiges an Zeit in Anspruch nehmen können.
Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang lediglich jeder selbst stellen muss: Gibt mir dieser Gegenstand eine adäquate Gegenleistung zurück?
Wie können wir jemals Zeit haben, wenn wir uns niemals Zeit nehmen?
In diesem eingangs erwähnten Zitat des Films „Matrix Reloaded“ verbirgt sich die entscheidende Frage. In der heutigen Zeit, wo das Wort „nachhaltig“ in so vielen Zusammenhängen ge- und missbraucht wird, sollten wir es mit der Zeit vielleicht auch einmal nachhaltig verstehen. Nachhaltiger Konsum sollte nicht nur auf den materiellen Konsum bezogen werden.
Zeit ist vielmehr eine weitere endliche Ressource. Zeit ist kostbar, nicht nur im geldwerten Sinn. Zeit läuft für jeden gleichermaßen ab und wir haben es selbst in der Hand darüber zu entscheiden. Wem, wie Erich Fromm bewusst ist, dass Sein wichtiger als Haben ist, dem genügt als erster Schritt, sich die Zeit zu nehmen, um über seine Zeit nachzudenken.
„Die wirkliche Zeit ist nicht nach der Uhr und dem Kalender zu messen.
Alle Zeit, die nicht mit dem Herzen wahrgenommen wird,
ist so verloren wie die Farben des Regenbogens für einen Blinden
oder das Lied eines Vogels für einen Tauben.“Zitat aus dem Buch „Momo“ von Michael Ende
Quellennachweis:
- Interview Niko Paech – http://www.einfachbewusst.de/2015/02/interview-niko-paech/
Artikelbild: Unsplash, Rachel Crowe
[…] Zeitwohlstand […]