Umdenken

Anleitung vom Wissen zum Handeln

Geschrieben von Gast

Folgender Beitrag wurde erstmalig am 23. April 2017 vom Transform Magazin veröffentlicht.
Autoren: Marius Hasenheit & Hans Rusinek

Oft wissen wir was zu tun ist – und handeln anders. Wie diese Lücke entsteht und mit welchen Schritten sie sich überwinden lässt.

Wir leben in einer Welt der Informationsfülle, in der wir ohne große Umstände herausfinden können, unter welchen jämmerlichen Bedingungen unsere Sneakers hergestellt wurden, wie viele Kilometer die Zutaten unseres Obstsalats zurückgelegt haben, und welche Konfliktmineralien in unserem Smartphone verbaut sind.

Nein, wir können unsere Inaktivität nicht mit einem Mangel an Information oder Bewusstsein entschuldigen – wir wissen, was zu tun ist. Das wirft die Frage auf: Warum tun wir es dann nicht?

Es ist, als sei die Übertragung gestört zwischen dem externen Sender und unserem inneren Empfänger; zwischen dem „Das ist zu tun“ und dem „Das mache ich jetzt“. Doch wo hakt es in der Übertragung? Hier gehen wir als Elektrotechniker der Empathie Schritt für Schritt diese Leitung ab und schauen, wo das Problem liegt.

 

Schritt 1: Alles nicht mein Problem?

Die Einsicht, dass es eine Verbindung gibt zwischen dem Wissen über Missstände und dem eigenen Tun, fällt vielen schwer. Der Störfaktor nervt hier oft penetrant und fragt „Warum sollte ich überhaupt handeln – ich bin doch gar nicht Teil des Problems!“ Der erste Schritt ist daher, diese kausale Verbindung überhaupt anzuerkennen.

Einsicht, das weiß jeder, ist der erste Weg zur Besserung. Es gibt Leute, die sich nicht eingestehen können, erkältet zu sein. Wenn sie niesen, dann schieben sie das auf ein geöffnetes Fenster. Die geschwollenen Augen kommen vom Staub, der Husten liegt an der trockenen Luft. Krank sind sie angeblich nie. Das heißt: Schonen müssen sie sich genauso wenig, wie sie ihr Handeln ändern müssen. Bis sie dann vollkommen flachliegen und ihr Körper sie zum Handeln zwingt.

Bei gesellschaftlichen Problemen läuft die Argumentation oft ähnlich ab. Ein kompliziertes Problem – etwa die Hungerkrise in einem fernen Land – wird mit einem Symptom herunter geredet, an dem sich nun mal nichts ändern lasse und an dem wir „keine Schuld“ haben: Zu korrupt sei man dort, zu faul, zu fanatisch; you name it! So wie an dem Niesen ja das offene Fenster schuld ist und nicht etwa eine Erkältung. Wir halten die Symptome für das Problem. Und es sind immer Symptome, die uns aus der Sache heraushalten. Probleme werden nur dann behandelt, wenn sie wirklich bei uns ankommen und offensichtlich sind. Sind obdachlose Menschen im Stadtbild omnipräsent, wird oft der Bau von Heimen gefordert – nicht die Finanzierung von Sozialarbeit, um Obdachlosigkeit vorzubeugen. Terroranschläge sind sichtbar; fehlende und verzerrte staatliche Strukturen im Nahen Osten nicht.

Ein Schnupfen ist bemerkbar; ein Lebensstil, der uns keine Ruhe gönnt und uns erkranken lässt, oftmals nicht. Gerade diese schwer fassbaren Bedrohungen sind es aber, die so enorme Auswirkungen haben: Der Klimawandel sorgt für Dürren, Überschwemmungen, und droht mit zunehmenden bewaffneten Konflikten und Migrationsbewegungen.

Unsere Antwort? Wir wenden Symptombehandlungen an, Klimaplaketten und Abschottungspolitik.Wie der Mensch, der zwar seine Erkältung anerkennt, sich aber erstmal mit Paracetamol zuhämmert.

Kurzzeitig kriegen wir den Eindruck, das System sei „gesund“, das Problem gelöst. Oft ist die Rede vom berühmten Sack Reis, der keinen interessiert, wenn er in China umfällt. Heute kann ein Vulkanausbruch in Island den gesamten europäischen Flugverkehr lahmlegen und ein Aufstand von Hafenarbeitern in Südafrika die nächste iPhone-Lieferung aufhalten.

Wenn ein umkippender Sack Reis in der Weltgeschichte jemals eine Rolle gespielt hat, dann jetzt, in der hyperglobalisierten Welt.

 

Schritt 2. Na gut, ich bin betroffen. Aber muss ich unbedingt was tun?

Bei diesem zweiten Schritt geht es darum, von der Betroffenheit zu der Erkenntnis zu kommen, dass das eigene Handeln zur Lösung gehören kann und muss. Es ist leicht, immer auf die anderen zu zeigen. Argumente wie „Wir könnten zwar das Klima schützen, aber davon profitieren dann auch die Staaten, die nichts für das Klima tun!“, hört man immer wieder. Allerdings: Wenn mir mein Arzt rät, mit dem Rauchen aufzuhören, ist es egal, ob er selbst Raucher ist oder war.

Es geht um mein Problem, nicht um seine Person. Genauso ist es egal, wer später ebenfalls davon profitiert, dass ich mein Problem löse.

Mit Ausweichargumenten versuchen wir Entscheidungen zu rationalisieren, die auf höchst irrationalen Füßen stehen: Faulheit, Egoismus und Gewohnheit.

Noch ein häufiges Argument des Unwillens ist das Verschieben der Verantwortung. So mancher fragt sich, warum denn gerade er oder sie Aufgaben des Staates übernehmen sollte, für die man ja schon Steuern zahlt. Zu hören ist dieser Einwurf oft im Zusammenhang mit der Solidarität für Geflüchtete. Und in der Tat: Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der zivilgesellschaftliches Engagement die Lücken füllen muss, um die sich ein neoliberaler Staat nicht mehr kümmern möchte?

Doch dieser Zweifel sollte dem Handeln nicht im Wege stehen, denn wer Hilfe leistet, zeigt auch den Bedarf für weiteres Engagement. Wer sich einsetzt, kann Zugzwang von Seiten staatlicher Institutionen auslösen. Auch Probleme erst als solche zu erkennen und zu benennen kann helfen. Das Zeigen auf andere ist niemals so stark und überzeugend wie das Handeln, das diese anderen mit ins Boot holt.

 

Schritt 3. Nach mir die Ginflut: Ich weiß, ich müsste was machen, aber lasst mich doch alle in Ruhe.

Nun wissen wir, dass das Problem uns betrifft und dass es nichts bringt, nur auf andere zu zeigen. Wir wissen jetzt auch, dass es unser eigenes Handeln ist, das aktiviert werden muss. Ganz schön anstrengend. Wen man weiß, dass es an der Zeit ist, etwas zu tun, sich aber überfordert oder gelähmt fühlt, lenkt man sich häufig ab. Es ist ein bisschen wie bei verdrängten Erlebnissen oder überfordernden Lebenssituationen: Ablenkungen, wie Reisen und Feiern, können da helfen, aber meist nur kurzfristig. Im Anbetracht der Überforderung durch Schreckensszenarien in einer Welt, in der man über alles Bescheid weiß, aber fast nichts unmittelbar ändern kann, liegt es nahe, sich auf der sinkenden Titanic noch einen Gin Tonic zu mixen.

Darum feiern Lifestyle-Magazine das Leben im Hier und Jetzt: YOLO, you only live once. Alles andere konfrontiert einen mit der Verantwortung zu helfen.

Eine starre YOLO-Haltung wird aber immer verkrampft bleiben, und reflektiert nicht, was unser Leben ausmacht und bereichert: Gemeinschaft, Empathie, Rücksicht, Nachhaltigkeit. Denn die Realität ist, dass auch alle anderen ein Recht auf das Hier und Jetzt haben sollten. Was wir dabei leicht übersehen: YOLO ist vielmehr ein Luxusgut als eine Lebenseinstellung.

Es geht nicht darum, persönlich mal eben die soziale Ungleichheit der Nation zu verringern oder das Artensterben aufzuhalten. Sich kleine Ziele und Projekte zu suchen ist nicht nur gut machbar, kleine Erfolgserlebnisse motivieren auch ungemein. Neben den sozialen Kontakten ist wohl auch diese Bestätigung ein Grund, warum es Menschen mit Ehrenamt oftmals besser geht als Nicht-Engagierten. Wer dann zu hören kriegt, dass der kleine Beitrag nichts ändern würde, dem hilft es, sich daran zu erinnern, dass es immer Pioniere braucht: Bürgerwindparks, selbst-organisierte Kollektive, mutige Forschung oder kleine, aber wichtige Freiwilligenarbeit im Kinderhospiz.

Diese kleinen Aktionen in der Nachbarschaft machen eine neue Generation von Engagierten aus. Es sind nicht mehr die großen Verbände und Vereine, die anziehend wirken, sondern Gruppen, die da ansetzen, wo es gerade brennt. Dieses Jahr in der Kleiderkammer des Flüchtlingsheims aushelfen, nächstes Jahr die Wassertanks im Stadtgarten über den Sommer auffüllen?

Für solches Wechselengagement wird heute niemand schief angeschaut. Der Nachteil ist, dass sich so nicht die Expertise aufbaut, die es beim Technischen Hilfswerk oder bei der Feuerwehr braucht. Der Vorteil ist: Engagement ist losgelöster von festen Strukturen und Vereinsmeierei – warum nicht mit Freunden ein Floß bauen und damit auf Gentrifizierung aufmerksam machen? Zusammen lässt es sich nämlich nicht nur gut feiern; Zusammen findet man auch den Mut, sich nicht abzulenken, sondern etwas zu tun.

 

Schritt 4. Ich lass mich vielleicht motivieren, anleiten oder schubsen.

Auf dem Weg von „gewillt sein, etwas zu tun“ zu „einfach mal machen“ gibt es unzählige Aufrufe. Wer aber aktiv werden will – in welcher Form auch immer – muss erst einmal die eigene Herzensangelegenheit finden. Wer alltägliche Handlungsweisen ändern möchte, wird inzwischen immer häufiger durch kleine Schubser in die richtige Richtung bewegt, sogenanntes „nudging‟. Für die einen ist diese Art des Anstupsens der Kampfbegriff der sanft Motivierenden; für andere ist es Manipulation. Wenn auf dem Handtuchspender ein Schild klebt, dass die meisten Menschen mit zwei Papiertüchern auskämen, wollen die Wenigsten für jeden Finger ein eigenes Blatt herauszerren. Die aufgedruckte Fliege im Pissoir motiviert hingegen weniger über die mitkommunizierte Norm („Nicht auf den Boden pullern!“), sondern nutzt den Spieltrieb, gut zu zielen. Die Schilderkampagne „Don‘t mess with Texas“ wiederum benutzt Nationalfarben und Footballprofis, um die Hauptzielgruppe, junge Männer, vom Verschmutzen der Highways abzuhalten.

Ob das Anschubsen wirklich Standard werden sollte in einer Gesellschaft, die doch das Ziel proklamiert, aufgeklärte Menschen zu eigenständigen Entscheidungen zu befähigen, sei dahingestellt. Aber was ist schon ein bisschen nudging im Vergleich zu den tausenden Werbebotschaften, die täglich auf uns einprasseln, ließe sich da entgegnen. Letztlich ist die Freude an dem was man schafft und tut wohl effektiver als Schubsen oder jede andere Strategie zur Beeinflussung von Verhalten: Kommunikationsstarke Hobbyschweißer finden sicher ein Repaircafé – einzelgängerische Hobbybiologen bestaunen und zählen vielleicht lieber Zugvögel in einem Forschungsprojekt mit Bürgerbeteiligung. Finde deinen Platz; oder lasse dich finden!

 

Fazit: Nebenbei an neuen sozialen Normen schleifen.

Der australische Moralphilosoph Peter Singer hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, warum Menschen nicht so viel spenden, wie sie könnten. Die Gründe sind psychologischer Natur: Unser Gehirn baut sich Theorien und sucht dann danach, sie mehr und mehr zu verfestigen. Einstellungen zu Themen wie Konsum, Solidarität und Hilfe zu ändern, fällt uns daher schwer. Sobald wir erstmal verfestigte Theorien gebildet haben, lassen wir ungerne davon ab. Sie erscheinen uns rational. Für derart anstrengende Veränderungen brauchen Menschen viel Motivation. Und wie motivieren sie sich, ihr Denken anzupassen? Durch Kulturen und soziale Normen. Wie ein Metronom kann ein Kulturwandel unser Weltbild anpassen und gleichzeitig den neuen Takt an andere weitergeben. Ein Kulturwandel in Sachen Hilfe würde es uns daher ermöglichen, über unsere psychologischen Grenzen hinauszuwachsen.

Es gibt Kreise, wo großzügiges Spenden die Norm ist: in manchen religiösen Gemeinschaften etwa, oder in der „Giving Pledge“-Szene der Bill Gates und Warren Buffetts. Kultur, also die immateriellen Güter, die wir wertschätzen („Kultur“ kommt von „Kult“), wird durch unser Handeln ständig neu manifestiert.

Wenn wir die Schritte vom Wissen zum Handeln gehen, dann tun wir das nicht nur, um ein Problem zu lösen. Wir treiben auch einen Kulturwandel an. Schritt für Schritt für Schritt.

 

Quelle: https://www.transform-magazin.de/anleitung-vom-wissen-zum-handeln/

Photo by Joao Tzanno on Unsplash