Umdenken

Politik: Die Mär der Ohnmacht

nachhaltigkeit wahlen verantwortung
Geschrieben von Nicola

Gerne schauen wir auf „die Politik“, zeigen empört mit dem Finger darauf und beschweren uns, dass das was wir sehen, nicht das ist, was wir wollen. Denn alles müsste anders sein und warum haben „die da Oben“ nicht sinnvoller entschieden? Diese Reaktionen kennen wir wohl alle. Es leuchtet ein, „die Politik“ zu hinterfragen, denn wir sehen, dass selbst eine drohende Klimakatastrophe nicht dazu führt, dass wir zügig auf eine nachhaltige Entwicklung umschwenken. Hierin steckt aber auch eine Ohnmacht, die wir so nicht hinnehmen sollten. Denn sie erscheint mir in weiten Teilen selbst gewählt. Genauer betrachtet hilft sie nur dazu, die Verantwortung für die Situation bei anderen zu suchen. Es wird Zeit mit den dahinter liegenden Konzepten aufzuräumen. 

L`état c´est moi! – der Staat bin ich!

In einem Staat ist die politische Entscheidung auf den Souverän zurückzuführen. Alle Macht geht von ihm aus. In einem demokratischen Staat mit einer funktionierenden Gewaltenteilung, freien Wahlen und transparenten und offenen Entscheidungsprozessen, ist der Souverän die Gesamtheit aller BürgerInnen. Auch wenn es heute besonders spannend ist, sich kruden Verschwörungsmythen hinzugeben, bleibt es dennoch Fakt, dass Deutschland eines der demokratischsten Staaten dieser Welt ist. 

Jeder von uns kann also behaupten: „Der Staat bin ich!“ und sich ein wenig so fühlen wie Louis XIV. Auch wenn die Leserschaft sicherlich einige gültige Einwände hat, möchte der Autor sie mit diesem Vergleich daran erinnern, dass die Macht dieses deutschen Staates zunächst von jedem Einzelnen von uns ausgeht. Wir üben sie nicht nur durch Wahlen aus, sondern auch durch Beteiligungsmöglichkeiten an Entscheidungsprozessen (siehe z.B. meinen Beitrag zur Aarhus-Konvention). Wenn Entscheidungen unsere Rechte unzulässig beeinträchtigen, können wir dies vor den Gerichten dieses Landes geltend machen. Aber da endet unsere Macht nicht. Wir können sogar in Pandemiezeiten demonstrieren gehen und uns dem Ungehorsam bis zu einem gewissen Maß hingeben, ohne dass wir in einem Kerker landen. 

Erinnern wir uns auch daran, dass die politischen Entscheidungsträger aus unserer Mitte stammen. Sie sind nicht nur Politiker, sondern auch unsere Bekannte, Freunde, Verwandten. Wir stehen mit ihnen Schlange an den Supermarktkassen, maßregeln zusammen mit ihnen unsere Kinder auf den Spielplätzen und teilen uns nicht selten eine Schulbank. Obwohl auch hier gerne von „Eliten“ gesprochen wird, die abgesondert und privilegiert aufgewachsen sind und entsprechend leben, ist dieses Bild oftmals irreführend. Die Nähe zu den Bürgern ist für Politiker die Grundlage, um gewählt zu werden. 

Machtlosigkeit kaschiert Verantwortungslosigkeit

Politiker sind somit nicht nur an der Urne wähl- und in den Medien kritisierbar. Ihre Entscheidungen können auf diversen Wegen mitgetragen oder abgestraft werden. Woher nehmen wir uns dann noch das Recht heraus zu behaupten, dass wir Bürger „der Politik“ gegenüber machtlos sind? Jeder sollte sich in Erinnerung rufen, dass wir als Souverän des Staates „die Politik“ sind. Politiker vertreten lediglich unsere Meinungen und unsere Lebensart im Entscheidungssystem des Staates. Gefällt uns etwas nicht, liegt es nicht an der Vertretung, sondern daran, dass wir in der Bevölkerung – also miteinander – ein Problem haben! 

Das bisweilen genüssliche Kritisieren der Politik sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kritik oftmals besser bei uns selbst aufgehoben ist und nicht bei denen, die nebulös gerne als „die da Oben“ bezeichnet werden. Als ob das Bild dieser hoffnungslosen Unerreichbarkeit nur dazu dient uns selbst nicht so schlecht zu fühlen, weil wir unserer eigenen Verantwortung nicht gerecht werden. 

Wir machen uns mehr Gedanken darüber, welches Auto wir als nächsten kaufen wollen und auch unsere Fußballmannschaften sind uns oftmals wichtiger, als genau zu prüfen, wen und was wir wählen und unserem Vertretungskandidaten in einem direkten Gespräch auf den Zahn zu fühlen. Nicht nur lassen wir uns reihenweise von Wahlversprechen täuschen, die gar nicht einhaltbar sind, und regen uns in jeder Wahlperiode aufs Neue darüber auf.

Wir lassen sogar zu, dass solche Täuschungen immer wieder ausgesprochen werden können und medial weite Verbreitung finden. Denn wir schreiben als Journalisten, Blogger, Influencer und BürgerInnen die Beiträge, formulieren unsere Meinungen als Nachbarn und Freunde, die wir nicht nur in der Presse verbreiten, sondern auch im persönlichen Kontakt ansprechen und auf sozialen Medien teilen. Es waren nicht „die da Oben“, die Trump, Bolsonaro, Putin oder Orban gewählt haben und sie verteidigen. Das sind die Bürgerinnen und Bürger. Es ist höchste Zeit für Veränderungen im Zentrum der Macht: bei uns! 

Der Verantwortung gerecht werden

Tipp 1: Sich informieren!

Wenn wir diejenigen sind, die entscheiden, wer an unserer statt entscheiden soll, müssen wir uns die Informationen besorgen, die wir benötigen, damit wir diese Entscheidung in Zukunft nicht bereuen müssen. Hierzu gibt es viele sinnvolle Quellen und wenn wir nur 10-20 Minuten am Tag investieren, können wir unsere Informationslage beträchtlich verbessern. 

Die Presse liefert uns die Ergebnisse von Politik zumeist frei Haus über ihre Websites. Die Fülle an unterschiedlichen Quellen verschafft uns mindestens einen Überblick über die Lage. Oftmals ist dies aber nicht genug, um seine eigene Meinung bilden zu können. Dies benötigt zumeist mehr Detailinformationen und Zeit, diese zu verarbeiten. Steigen Sie tiefer in das gewählte Thema ein, indem Sie selbständig recherchieren. Lassen wir uns ruhig Zeit mit unserer Meinung. Keiner zwingt uns von jetzt auf gleich eine Meinung zu einem Thema zu entwickeln. 

Möchten wir wissen, wie unsere gewählten Vertreter im konkreten Fall entschieden haben, liefert uns z.B. abgeordnetenwatch.de die nötige Antwort. Diverse Projekte wie z.B. fragdenstaat.de nutzen die Regelungen der Informationsfreiheit, um an Dokumente zu gelangen, die nicht gerne an die Öffentlichkeit gegeben werden und bereiten die Fälle in verständlicher Art und Weise auf.

Auch lohnt es sich die Ergebnisse der Forschung öffentlicher Hochschulen genauer zu betrachten. Sie widmen sich vermehrt der Verständlichkeit ihrer Ergebnisse und so finden sich auch hier Zusammenfassungen in verständlicher Sprache. Dies sind lediglich einige Beispiele. Im Internet finden sich noch viel mehr Informationen zu den Themen. Jedoch ist Vorsicht geboten. Darunter findet sich auch eine Menge Unbrauchbares. Um Aufmerksamkeit zu erhalten, schrecken manche Quellen vor nichts zurück. Mit der Zeit lernt man aber die Spreu vom Weizen zu trennen. Wenn man durch einen Beitrag emotional aufgestachelt wird, ist dies meist ein Zeichen für seine schlechte Qualität. Schenken wir solchen Beiträgen besser keine Klicks!

Tipp 2: Sich einmischen! 

Wenn unsere StellvertreterIn nicht sinnvoll entschieden hat, müssen wir ihn oder sie zur Rede stellen und gegebenenfalls abstrafen. Das geht sogar relativ einfach. Wenn er oder sie beim nächsten Mal vor dem heimischen Supermarkt um Stimmen buhlt, stellen sie ihn oder sie einfach zur Rede. Schreiben Sie eine E-Mail. Lassen Sie sich nicht abwimmeln und machen Sie es der Person nicht zu einfach. Ist die Person unerreichbar, wenden Sie sich an die Ortgruppe seiner oder ihrer Partei. Lassen Sie sich auch hier nicht abwimmeln. Dies geschieht gerne mit den Worten: „das ist Bundespolitik und hat mit uns nichts zu tun“. Aber wo bliebe denn die Solidarität mit einer Person aus dem eigenen Verein? Es würde doch kein gutes Licht auf die Parteikultur werfen, wenn sich die Einen mit den Handlungen Anderer aus dem gleichen Verein nicht identifizieren können. Bestehen Sie also darauf, dass der oder die OrtsvertreterIn die Kritik versteht und weiterträgt. So kann man das förderale System und die Subsidiarität zur Geltung verhelfen. Zudem ist es sinnvoll eine missliche Parteihaltung von innen zu bekämpfen, als nur Druck von außen zu machen. Meinen Sie nicht auch? 

Aber auch von außen gibt es Möglichkeiten, denn einige thematisch spezialisierte Vereinigungen haben es sich zum Ziel gemacht, genau hinzuschauen und alle Möglichkeiten zu nutzen, um unliebsame Entscheidungen sichtbar und rückgängig zu machen (z.B. Deutsche Umwelthilfe, BUND, Greenpeace und viele weitere Interessensvereinigungen). Diese Gruppen freuen sich sicherlich über Unterstützung! 

Tipp 3: Souverän unter Souveränen sein!

Abschließend wäre noch zu betonen, dass Sie nicht allein sind, sondern sich im Boot mit vielen anderen Souveränen befinden, die Ihnen weiterhelfen können und denen Sie mit Ihrem Wissen ebenso helfen können. Machen Sie Politik zu einem Thema in Gesprächen mit Ihren FreundInnen. Tauschen Sie Argumente aus und prüfen Ihre Meinungen. Gehen Sie gemeinsam mit Ihrer Kritik zum Supermarkt oder Ortsverein und suchen den/die PolitikerIn für ein Gespräch auf. Unterstützen Sie sich gegenseitig. Formen Sie gegebenenfalls Interessensvereinigungen und leben Sie Politik. 

Denn – und da können Sie sich noch so sehr dagegen wehren – Sie sind und bleiben der Souverän! 

Quelle Artikelbild: klimkin / pixabay