Umdenken

Hallo Nachwelt, ich war dabei

Geschrieben von Matthias

Je nach Jahreszeit häufen sich in meiner Timeline bei Instagram die Storys und eingestellten Bilder, auf welchen Personen vor einer sorgfältig ausgewählten Kulisse posieren. Das kann ein großer Hügel Schnee in den Bergen sein, eine Ansammlung an Sand mit lokaltypischer Bepflanzung, oder beispielsweise ein hohes Gebäude in einer x-beliebigen Metropole dieser Welt. Diese Bilder, häufig ein sogenanntes Selfie, sollen eine Geschichte erzählen. Das habe ich durch das Buch „Erzählende Affen“ (2021 – Samira El Ouassil) gelernt. Seit ich das weiß, frage ich mich, was die Personen denn so erzählen möchten.
„Seht her Kinder, das hinter mir auf dem Bild ist ein Gletscher. Den haben wir mit unserer ausufernden Lebensweise erfolgreich zum Schmelzen gebracht“. Oder aber „Seht her liebe Enkelkinder. Bevor der Meeresspiegel angestiegen ist, konnte ich da, wie ihr auf dem Bild seht, noch in einer Hängematte posieren.“
Mir drängt sich Verdacht auf, es geht dabei um die Message: „Hallo Nachwelt, ich war dabei.“

Soweit kann ich mir die Geschichte ausmalen. Wo meine Geschichte hinkt? Ich weiß nicht, was diese Personen den Kindern antworten, auf die resultierende Frage, warum sie nichts gegen die drohende Katastrophe getan, sondern diese noch durch ihre Handlungen beschleunigt haben.

Die Kunst der Selbstdarstellung

Fotografier‘ mir die Finger wund, akribischer Hintergrund
ich bin hier nicht zum Spaß, ich produziere Erinnerung

aus dem Lied „Wie Zuhause“ von Alligatoah

Was will uns der Künstler/die Künstlerin mit dem Bild sagen? Das wurde ich früher häufig in meiner Schulzeit gefragt, vor allem, wenn es sich um abstrakte Kunst handelte. Damals sagte ich mir dann immer, wenn er/sie was damit sagen wollte, hätte man ja nicht so abstrakt malen müssen. Bei Instagram betrachte ich derweil ein Bild einer mir bekannten Person, die mit Cocktail in der Hand, unter Palmen am Strand in einer Hängematte liegt. Und ich frage mich, was will mir diese Person mit dem Bild sagen? Ich denke nicht, dass es ihr darum geht zu zeigen, dass sie ein zuckerhaltiges und womöglich alkoholhaltiges Getränk konsumieren kann/darf. Und wie Sand, Palmen und Meer aussehen, hat mir der Film „Fluch der Karibik“ gezeigt. Ich komme also zu dem Entschluss: Man will mir und der Nachwelt bildlich vor Augen führen, dass man auf so etwas wie Generationengerechtigkeit schei*t. Bio-Obst kaufen und den SUV auch mal stehen lassen – OK, aber den Flug in den Urlaub darf man sich doch wohl gönnen, oder die Kreuzfahrt einmal im Jahr.

Laut Psychologen geht es bei dieser Art von Selbstdarstellung vornehmlich um Narzissmus und Neid. Entweder versucht man also, sein Selbstwertgefühl durch das erhaltene Feedback (Likes, Kommentare) zu steigern, oder man will, dass der Betrachter/die Betrachterin des Fotos neidisch ist. Macht man also womöglich Urlaub, nur um Bilder bei Instagram zu teilen? Für einen Teil der Urlauber mag dies tatsächlich zutreffen. So kam eine Umfrage zu dieser Thematik kürzlich zum Ergebnis, dass 34 Prozent der 18-24-Jährigen in Deutschland hauptsächlich verreisen, um Fotos davon auf den sozialen Netzwerken zu teilen1.

Als ich in diesem Alter war reichte es, wenn man bei der nächsten Disco oder dem nächsten Sportfest mitgeteilt bekam, ob jemand in Urlaub war und wenn ja wo. Dieser neuartige Wettstreit um das schönste Urlaubsfoto gab es in dieser Form noch nicht. Instagram und Co. bieten hingegen die Bühne zu einem Wettlauf um das coolste Leben 24/7, 365 Tage, gegen jeden Menschen auf der Welt.

Bei Instagram gibt es einen Account, der uns vor Augen führt, zu welchen absurden Formen der Selbstdarstellung Instagram und Co führen. Insta_repeat heißt der Account. Wer noch eine Idee für das nächste Urlaubsfoto sucht, sollte hier also auf jeden Fall mal vorbeischauen.

https://www.instagram.com/insta_repeat/
Quelle: https://www.instagram.com/insta_repeat/

Ich will da, wo das Touri-Gesindel seinen Fuß niemals hinsetzt
meinen Fuß hinsetzen, Touris sind immer die andern

aus dem Lied „Wie Zuhause“ von Alligatoah

Den Menschen in meinem Alter – also über 24 Jahren – geht es natürlich nicht um solche Fotos, das haben sie mir gesagt. Nein wirklich. Die meisten Menschen in meinem Umfeld machen Urlaub, um fremde Kulturen kennen zu lernen. Völkerverständigung und so. Das sind übrigens die gleichen Personen, die mir dann als erstes erzählen, wie zufrieden sie waren als sie endlich ein Lokal mit ihrem Stammbier gefunden hatten.

Ich will Jahrtausende alte, ohne Ende von Profi-Cams abgelichtete Monumente mit ‚m Fotohandy knipsen, in den Landessprachen denselben Fraß bestellen wie in meinen Stammlokalen, „You have Hammelbraten?“ Ich will bei Ramschhändlern überteuerte Andenken kaufen, die am Ende auf ‚m Wandschrank verstauben

aus dem Lied „Wie Zuhause“ von Alligatoah

Umweltzerstörung durch Tourismus

Jeder Reise in den Urlaub, egal mit welcher Motivation, beschleunigt den Klimawandel und dessen Folgen. Jede Reise trägt so zur Zerstörung jener natürlichen Räume und Städte bei, zu welchen die Reisenden aufbrechen.

Der Tourismus zerstört das, was er sucht, indem er es findet

Hans Magnus Enzensberger

Die einsame Berghütte ist auch nur so lange einsam, bis sie ausreichend lang als eine solche beworben wurde. Und auch das Great Barrier Reef, eines der sieben Weltwunder der Erde, fällt seiner eigenen Popularität zum Opfer und stirbt unter anderem durch die Folgen des Klimawandels. Und mit jedem neuen Kamerateam, das in seiner Tierdokumentation von „durch das Eindringen des Menschen bedrohten Tierarten“ berichtet, sind diese nur wieder ein Stück mehr bedroht. Eine scheinbar unaufhaltsame Spirale der Zerstörung.

Auch wenn die Klimakrise inzwischen nicht mehr geleugnet wird: Sie stellt für die meisten Menschen nach wie vor keine greifbare Gefahr dar. Man ist eben schnell wieder mit dem Flieger zurück in der gemäßigten (Wohlfühl-)Zone, bequem auf der Couch, während im Urlaubsort langsam der Meeresspiegel steigt, die Gletscher schmelzen oder die nächste Dürre für eine Nahrungsmittelknappheit sorgt. Der Klimawandel mag für viele Urlauber weiterhin ignorierbar sein, die kausalen Zusammenhänge zu abstrakt. Direkt sichtbar sind hingegen die ökologischen Schäden durch den Tourismus. Und das nicht nur durch den Müll, den die Touristen verursachen und die für jeden sichtbaren Schäden.

Auf Mallorca wird beispielsweise bei Regen oftmals das Abwasser ungereinigt ins Meer eingeleitet.2 Die Einheimischen wissen das und ziehen weiter ins Naturschutzgebiet. Dabei sollte gerade dieses Gebiet vor dem Menschen geschützt sein. Und wenn es gerade nicht regnet, sorgen die durch den Klimawandel immer längeren Trockenperioden für Probleme bei der Wasserversorgung. So müssen Pools bereits seit 2010 mit durch Wasserentsalzungsanlagen zu Süßwasser umgewandelten Meerwasser gefüllt werden.3

Aber was interessiert einen das schon, schmeckt das Bier doch gut und in ein paar Tagen ist man wieder zuhause. Apropos zuhause…

Urlaub ist eine Frage der Definition

Ich fühl‘ mich wie zuhause
Nur zuhause will ich weg

woanders ist auch, wenn man das genau
betrachtet, ein verkapptes Hier

aus dem Lied „Wie Zuhause“ von Alligatoah

Niko Paech wird nicht müde in Interviews zu erwähnen, dass wir eigentlich gar keinen Urlaub brauchen, um glücklich zu sein: „Für mich ist Glück oder das, was wir für den Vollzug von Glücklichsein halten, nicht objektivierbar. Es orientiert sich an dem, was wir für normal halten. Wenn ich jedes Jahr zu Weihnachten eine bestimmte Menge Geschenke kriege, werde ich eine Abweichung nach unten als schmerzhafte Reduktion empfinden. Wenn alle in Urlaub fliegen, erscheint mir das auch als notwendig, um glücklich zu sein.“4

Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?

Corona hat die vergangenen Monate wortwörtlich dafür gesorgt, dass wir nicht mehr so abgehoben, mehr bodenständig sind, wenn es um die Urlaubplanung geht. Wander- und Fahrradwege haben Hochkonjunktur und manche Fahrradläden hätten sicherlich doppelt so viele Räder verkaufen können, hätten sie welche gehabt. Und so wurde dann mal die nähere Umgebung als Urlaubsort entdeckt und die immer so gern genutzten Floskel im Selbstversuch geprüft: „Wohnen, wo andere Urlaub machen.“

Bereits vor einigen Jahren hatte Florian in einem Artikel auf regionale Reiseziele hingewiesen oder ein Interview geführt zum Thema Nachhaltig Urlaub machen – Wie geht das?. Sind wir mal ehrlich, wer weiß schon, was einen alles vor der eigenen Türe erwartet?

In meinem Büro hängt beispielsweise ein Bild von einem kleinen Wasserfall. Sehr idyllisch mit einer Holztreppe darüber, umrahmt vom Grün der Natur. Wo ich dieses Bild den gemacht habe, in der Schweiz womöglich? Oft wurde diese Frage schon gestellt. Enttäuschend musste ich die Betrachter dann darüber aufklären, dass es lediglich 40 km vom Büro entfernt ist, auf einer Wanderroute des hiesigen Naturparks.

Was bleibt außer meinen Fragen?

Ich gebe zu, einige Personen habe ich bei Instagram entfolgt oder auf stumm geschaltet. Ich weiß inzwischen einfach, wie der Eifelturm aussieht, das in der Toskana Zypressen stehen und auch den Bierkönig auf Mallorca habe ich oft genug gesehen, um zu wissen, dass ich da nicht hin muss. Damit macht man mich auch nicht neidisch. Denn sind wir mal ehrlich. Keines dieser Fotos ist in irgendeiner Form einzigartig (Stichwort Insta_repeat) oder beneidenswert? Jedes dieser Bilder kann man in unter 24h genau so reproduzieren.

Stattdessen hoffe ich auf Bilder von Kleinigkeiten am Wegesrand einer lokalen Wanderroute. Vom Sonnenaufgang über einer von Nebel überzogenen Weidefläche. Der Quelle eines Baches, der sich den Weg durch junge Baumtriebe sucht. Eine Story zu einem sportlichen Erfolg, den man sich nicht hätte vorstellen können. Eben von den kleinen und großen Wundern, die durch kein Geld dieser Welt bezahlbar sind.

Hier das im Text zitierte Lied von Alligatoah:

Hier weiter lesen:

Quellenangaben:
(1) https://www.rnd.de/reise/reisefotos-auf-instagram-wenn-urlaub-zur-selbstdarstellung-wird-XOQ4L5UHXNAO7H4XAOZZYUNRKU.html
(2) https://www.dw.com/de/ein-bad-in-der-br%C3%BChe-mallorca-m%C3%BCll-und-meer/a-44082901
(3) https://www.ecowoman.de/freizeit/natur/mallorca-wassernot-massive-tourismus-entwicklung-verursacht-probleme-5012
(4) https://taz.de/Die-Sorge-um-die-Oekodiktatur/!5101334/

Titelfoto by Elizeu Dias on Unsplash