Gibt es eine Formel, um die Welt zu retten? Sind Fairtrade Produkte, biologische Ernährung und Second Hand Shops nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein? Und wie viel müssen wir verstehen, um wirklich die Zusammenhänge erkennen zu können? Um diese Fragen kreist der Dokumentarfilm „TOMORROW – Die Welt ist voller Lösungen“. Er ist ein Crowdfunding-Projekt der Schauspielerin Mélanie Laurent – bekannt aus Tarantinos „Inglourious Basterds“ – und dem Aktivisten Cyril Dion, die sich darin auf die Suche nach Lösungen machen, um den globalen ökologischen Kollaps aufzuhalten. In Frankreich ist der Film bereits ein voller Erfolg, mit über 800.000 Zuschauern und der Auszeichnung César als Bester Dokumentarfilm. Am 2. Juni kommt er in die deutschen Kinos. Einen ersten Einblick zeigt das Interview mit den Machern.
Euer Film „TOMORROW“ beginnt mit einer wissenschaftlichen Studie aus der Fachzeitschrift „Nature“ aus dem Jahr 2012. Darin wird auf drastische Weise der komplette Zusammenbruch unserer Ökosysteme angekuündigt, also das Ende der stabilen Lebensbedingungen auf der Erde. Warum spielt diese Studie so eine bedeutende Rolle für euch und auch für den Film?
Cyril Dion: Ich hatte 2010 mit dem Drehbuch begonnen. Schon damals fand ich, es reiche nicht, Katastrophen nur anzukuündigen. Es sollten Lösungen für eine mögliche Zukunft enthalten sein. Jeder sollte in der Lage sein, sich selbst ein Bild davon zu machen. Im Juni 2012 hatte ich einen Burn-Out. Einen Monat später entdeckte ich die ausschlaggebende Studie von Anthony Barnosky und Elizabeth Hadly. Keine Studie zuvor hatte je eine solche Wirkung auf mich. Es war, als ginge mein eigener Zusammenbruch konform mit dem angekündigten Zusammenbruch der Gesellschaft. Ich dachte, es sei an der Zeit, das zu tun, was mir selbst am Wichtigsten erschien. Und das war, diesen Film auf den Weg zu bringen. Ich kündigte meinen Job und widmete mich vollständig dem Filmprojekt.
Mélanie Laurent: Als ich die Studie las, war ich gerade schwanger. Ich war zutiefst schockiert. Ich habe den ganzen Tag geweint und Cyril verflucht, dass er mich in diesen Zustand der Verzweiflung versetzt hatte. Bis zu der Entdeckung dieser Studie ging es „nur“ darum, einen positiven Film zu machen. Plötzlich wurde es ein notwendiger Film und das war ein super Antrieb. Für den Film habe ich andere Projekte und Angebote abgesagt, um mich vollständig einbringen zu können.
Wie würdet ihr „TOMORROW“ beschreiben – enthusiastisch, ökologisch oder humanistisch?
Mélanie: TOMORROW ist definitiv kein Öko-Dokumentarfilm, sondern wirft vielmehr den Blick auf eine Gesellschaft, wie es sie morgen geben könnte.
Cyril: Wir wollen die Zuschauer dafür begeistern, in so einer Welt zu leben, wie diese neuen Helden zu sein, die weder Millionäre, noch Stars sind, aber so wertvoll, schön und menschlich. Ganz normale Menschen, die Gärten anlegen, tolle Schulen gründen… Sogar unser Produzent, der nicht gerade wirkt, als hätte er einen grünen Daumen, wollte Gemüse anbauen, nachdem er Charles und Perrines üppigen Permakultur-Bauernhof gesehen hat! Das gleiche gilt für unseren Verleiher. Genau das war unser Ehrgeiz, unser Ziel!
Mélanie: Niemand möchte mit furchtbaren Dingen konfrontiert werden. Dennoch müssen wir uns ihnen stellen, wir haben keine andere Wahl. Um in der Lage zu sein, darauf zu reagieren, brauchen wir zugängliche und machbare Lösungen. Aus diesem Grund haben wir all diese aktiv handelnden Menschen gezeigt. Es ist nicht nötig, alles hinzuschmeißen, das Leben komplett zu ändern, einsam auf einem Bauernhof zu leben und auf Selbstversorger zu machen… Die vorgestellten Initiativen sind direkt vor unserer Haustür, mitten in unserem Leben und können bereits morgen auch von anderen umgesetzt werden.
Eigentlich ist „TOMORROW“ ja nicht nur euer Film, sondern der von Tausenden von Menschen.
Cyril: Genaugenommen von 10.266 Menschen! Um die Finanzierung in Gang zu bringen, haben wir eine Crowdfunding-Kampagne lanciert. Wir wollten innerhalb von zwei Monaten 200.000 Euro zusammen bekommen. Das haben wir auch erreicht – in zwei Tagen! Nach zwei Monaten hatten wir fast 450.000 Euro zusammen. Das ist Weltrekord im Spendensammeln für einen Dokumentarfilm!
Mélanie: Das Ergebnis übertraf unsere kühnsten Träume. Die größte Stärke von TOMORROW ist, dass dies ein Film von tausenden Menschen ist, die bei der Finanzierung geholfen haben. Fast ein Drittel der Spender hat uns gebeten, im Tausch für ihre Spende Bäume zu pflanzen. Nicht nur, dass sie den Film mitfinanziert haben, sie wollten auch keine Gegenleistung. Das ist sogar noch beeindruckender. Die ganze Sache war ein solcher Erfolg, dass alles Weitere dann sehr zügig verlief.
Cyril: Es kamen dann noch weitere Partner hinzu. Uns war es wichtig, dass auch unsere Finanzierung so konsequent „grün“ wie möglich ist. Mit einem Budget von letztendlich rund 1,2 Millionen Euro war das auch möglich. Unsere Förderung begann damit, dass uns mein Nachbar und Freund Christophe Massot die ersten 10.000 Euro für den Trailer gab. Der wiederum brachte uns die Unterstützung von Mars Films. Das war der Beginn einer wunderbaren Geschichte.
Verbirgt sich hinter TOMORROW eine Art Hoffnung, die ihr gerne teilen wollt?
Mélanie: Das verdammte Problem bei der Geschichte ist, dass wir uns immer noch einreden, wir könnten das niemals schaffen. Diesen Film zu machen, hat mich verzaubert. Ich habe unglaubliche Leute getroffen, ich habe wirklich viel Wissen gesammelt und ich habe den Eindruck, der Welt gegenüber offener geworden zu sein. Gleichzeitig bin ich dadurch noch radikaler bei vielen kleinen Dingen im Leben geworden. Ich werde schneller wütend oder traurig. Zum Beispiel wenn ich durch den Park spaziere und sehe, dass Leute nach einem Picknick ihre Abfälle liegen lassen oder wenn ich sehe, dass Menschen ihre Zigarettenstummel an Pflanzen ausdrücken.
Cyril: Mir ist noch viel bewusster geworden, dass alles zusammenbrechen wird, und ich hatte noch nie zuvor solche Angst. Deshalb habe ich umso mehr das Bedürfnis, kleine Fackeln in den Menschen anzuzünden. Ich liebe es zu sehen, was der Film bei den Menschen, die ihn sehen, auslöst: Er trifft das gewisse Etwas, das nicht weit unter der Oberfläche liegt und das ein Bedürfnis entfacht, tausende nützliche Dinge zu tun, einen Sinn in allem zu finden.
Mélanie: Fehlt es der Welt an ermutigenden Initiativen, die inspirierend und einfach umzusetzen sind? Das sagen zwei unserer Protagonisten, May und Pam, die Gründer von „incredible edible“ zu Beginn des Films: Man muss in seiner Straße anfangen, in seinem Viertel, mit seinen Nachbarn und danach Unternehmer und lokale Abgeordnete mobilisieren. Sobald die Leute anfangen etwas zu tun, hören sie nicht mehr auf. Sie machen weiter, tauschen Ideen aus, experimentieren, teilen. Wenn Sie jemanden in der U-Bahn die Tür aufhalten, wird er sich freuen und in 99% der Fälle auch noch denjenigen helfen, die ihm folgen. Es ist endlos. Das ist es, was ich liebe. Wir bewegen uns aus unserer Komfort-Zone – insofern sind wir noch entfernt vom Zusammenbruch. Wir befinden uns in einer äußerst inspirierenden Phase: Wir wissen, dass wir gegen eine Wand fahren werden, und es ist an der Zeit, zu handeln. Menschsein bedeutet auf dem Mond zu laufen, die Sklaverei abzuschaffen, Krankheiten auszurotten – unsere Möglichkeiten sind riesig. Es liegt an uns, diese für unser Überleben und unser gemeinsames Glück einzusetzen.
Artikelfoto: Tomorrow-Der-Film.