Hast du in den vergangenen Wochen einmal versucht, bei deiner Videothek (die Älteren unter euch werden sich erinnern) eine DVD auszuleihen? Ich müsste zur nächstgelegenen Videothek inzwischen ca. 40 Minuten Auto fahren, denn alle anderen gibt es nicht mehr.
Zeitungen, ein ganz ähnliches Thema. Also nicht die Online Version mit Newsletter etc., sondern so richtig auf Papier. „Wie soll ich der Druckereibranche, den Printmedien, etwas von zukunftssicheren Arbeitsplätzen erzählen?“. Mit dieser Frage eröffnete erst kürzlich ein Unternehmensberater eine von mir besuchte Veranstaltung.
Egal ob es wie bei den Videotheken, Netflix und Co sind, die das Geschäftsmodell revolutionieren, oder die Roboter in der Automobilindustrie, man schätzt das alleine durch Digitalisierung und Automatisierung fast die Hälfte der Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet sind.
Dabei greift diese Formulierung viel zu kurz, denn mit den Arbeitsplätzen ist wesentlich mehr gefährdet als „nur“ der bezahlte Nine-to-five-Job. Es geht um die Existenz vieler Familien, das aktuelle Wirtschaftssystem und nichts weniger, als den sozialen Frieden.
Im Kontext einer Arbeitszeitverkürzung wird dabei oftmals auch das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) genannt. Zu diesem Thema habe ich mit Christian Lichtenberg von „Mein Grundeinkommen e.V.“ gesprochen. Sie sammeln bei ihrem Projekt per Crowdfunding Geld für ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Sobald 12.000€ gesammelt sind, wird diese Summe an eine Person verlost, die dadurch für ein Jahr jeweils 1.000 Euro Grundeinkommen je Monat beziehen kann.
Matthias: Christian, für die die es noch nie gehört haben: Was ist ein bedingungsloses Grundeinkommen und was ist die Idee dahinter?
Christian: Beim bedingungslosen Grundeinkommen geht es darum, einer politischen Gemeinschaft von Menschen bedingungslos, per Geburt, einen bestimmten Geldbetrag zukommen zu lassen. Mit dem Grundeinkommen soll das Existenzminimum jeder*s Einzelnen gesichert werden, was je nach Modell und Staat natürlich unterschiedlich ausfallen kann.
Matthias: Seit langem gibt es viele prominente Befürworter für ein BGE. Telekom-Chef Timotheus Höttges, DM Gründer Götz Werner oder Richard David Precht sind unter den Befürwortern eines BGE. Der Siemens-Chef Joe Kaeser bezeichnete die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens sogar als unvermeidlich[1] und auch der Tesla Chef Elon Musk sagte kürzlich, man habe gar keine andere Wahl[2]. Wieso denkst du, ist das Thema noch nicht in der Politik angekommen?
Christian: Das kommt, denke ich, auch auf den jeweiligen Staat an. In Deutschland wird die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens in der Parteienlandschaft noch nicht ernsthaft genug diskutiert, in Frankreich hingegen wesentlich mehr. Dort hat es jede Partei in der einen oder anderen Form in ihrem Programm. In Deutschland ist es tendenziell ja auch so, dass die Arbeitsbedingungen prekärer werden und zukünftig vermutlich viele Arbeitsplätze wegfallen. Vielleicht geht es den meisten Menschen hier im Moment gerade einfach noch zu gut. Man merkt allerdings, dass sich immer mehr Menschen ernsthafter mit dem Thema auseinandersetzen.
Bei den einflussreichen Parteien gibt es Teile der Grünen, die das Konzept befürworten, und auch Teile der Linken. In der SPD wird es denke ich auch immer mehr aufkommen. Es ist also auch in Deutschland meiner Meinung nach nur noch eine Frage der Zeit, bis die beiden großen Parteien sich ernsthaft damit befassen.
Matthias: In der Schweiz gab es im vergangenen Jahr eine Abstimmung zur Einführung eines BGE. Da waren fast 80% der Bevölkerung gegen ein BGE. Wie kannst du dir das erklären?
Christian: Das kann man so oder so sehen. Also es waren ja 23% dafür, was immerhin fast einem Viertel entspricht. Wir hatten im Vorfeld mit einigen Beteiligten gesprochen und man war der Ansicht, das alles über 20% bereits als Erfolg zu werten sei. Von daher ist es ganz gut gelaufen. Es ging in der Schweiz aber auch nicht konkret um ein Modell, sondern um eine Verfassungsänderung, was natürlich einen radikalen Schritt bedeutet.
In erster Linie war es das Ziel des Schweizer Volksentscheids, eine Debatte loszutreten in einem durch das politische System sehr konservativ ausgerichteten Land. Vielen Ängste und Fragen stehen da noch im Raum, darum dreht sich nun die aktuelle Debatte.
Matthias: Das mag natürlich sein. Ich habe es auch eher so gesehen, dass es über die Landesgrenzen der Schweiz hinaus betrachtet, eine gute Werbung für das BGE war.
Christian: Ja, genau, und ich denke daher ist dieses Abstimmungsergebnis auch als Erfolg zu werten.
Matthias: Wenn das Grundeinkommen tatsächlich „bedingungslos“ ist, bzw. wäre, würde das dann nicht auch dazu führen, dass mehr Menschen versuchen würden, in dem entsprechenden Land zu leben?
Christian: Das hören wir immer wieder. Zum einen würde ich dem entgegnen, dass das Bedingungslose Grundeinkommen ja auch nicht unendlich viel Geld ist. Es geht ja nur darum, jedem Menschen ein der jeweiligen Volkswirtschaft entsprechendes Existenzminimum zu gewährleisten. Wenn wir da aktuell von 800-1.000 Euro sprechen ist dies nicht wesentlich mehr, als viele Menschen durch Jobcenter-Leistungen und weitere Sozialleistungen ohnehin erhalten. Außerdem migrieren Leute in erster Linie, weil sie ihre Heimat verlassen müssen und nicht, weil irgendwo anders ein Sozialstaat mit besonders guten Angeboten lockt.
Grundsätzlich wäre es natürlich dennoch wünschenswert, wenn man das Grundeinkommen global umsetzen würde, wenn es wirklich gerecht sein soll. Aber irgendwo muss man ja anfangen.
Matthias: Eine weiteres Argument der BGE Gegner, das ihr sicher immer wieder hört, ist die Frage: Würde dann überhaupt noch jemand arbeiten gehen?
Christian: Zum Faulheits-Argument haben sich inzwischen glücklicherweise viele Arbeitspsychologen geäußert. So wird heute in der Wissenschaft größtenteils davon ausgegangen, dass der Mensch prinzipiell arbeiten will. Nicht nur wegen dem Geld, sondern vor allem wegen dem Zugehörigkeitsgefühl, der Sinnstiftung von Arbeit und der Wertschätzung, die man durch seine Leistungen erfährt. Daher ist nicht davon auszugehen, dass Menschen mit Grundeinkommen sich dauerhaft auf die faule Haut legen.
Matthias: Sind die bisherigen Gewinner also auch nicht fauler geworden? Ihr habt von eurer Initiative ja bereits einige Grundeinkommen verteilt. Wie hat sich der Alltag der Gewinner verändert?
Christian: Wir sind immer wieder überrascht, dass die Menschen in den meisten Fällen mit Grundeinkommen mehr tun als zuvor. Das liegt aber auch daran, dass die Gewinner*innen ja wissen, dass das Beziehen des Grundeinkommens nach einem Jahr wieder vorbei ist und daher vorsorgen für die Zeit danach. So besuchen sie in der Zeit beispielsweise Fortbildungen und arbeiten mehr, da sie sorgenfreier sind und mehr Energie dazu haben. Es gibt tatsächlich bisher kein Beispiel, wo jemand weniger arbeitet.
Was uns auch überrascht hat waren die unterschiedlichen Auswirkungen des BGE auf die Gewinner, nicht nur im Hinblick auf die Arbeit. Bei manchen hat sich die Gesundheit verbessert, sowohl psychisch als auch körperlich. Das freut einen natürlich besonders.
Matthias: OK Christian, abschließende Frage: Wie seht ihr, wie siehst du die Zukunft des BGE?
Christian: Wir sind gerade dabei, unsere Webseite zu modernisieren, was leider einige Zeit in Anspruch nimmt. Noch im März soll diese online sein und alles wird noch wesentlich stabiler laufen, so dass wir noch mehr Auslastung vertragen. Außerdem arbeiten wir gerade an einer statistischen Auswertung, einer Art Bilanz zu den bisherigen Gewinner*innen und den durch den Bezug des BGE resultierenden Auswirkungen.
Darüber hinaus versuchen wir, zukünftig wesentlich stärker zu netzwerken und dabei vielleicht auch etwas stärker an die Parteipolitik heranzutreten, ohne uns dabei von Ideologien vereinnahmen zu lassen. Aber in erster Linie wollen wir weiter mit guten Argumenten die öffentliche Debatte vorantreiben.
Matthias: Dann drücken wir euch weiterhin die Daumen und wünschen viel Erfolg bei den weiteren Bemühungen. Vielen Dank für das Gespräch.
Bei der Suche nach dem Titelbild zum Thema BGE bin ich nach vielen unterschiedlichen Suchwörtern schließlich unter dem Suchbegriff „frei“ fündig geworden. Und ich denke, das Wort „frei“ beschreibt die Vorzüge eines bedingungslosen Grundeinkommens ganz hervorragend. Das BGE würde den Menschen eine Art Unabhängigkeit, eine Art Freiheit geben, die sie aktuell nur in wenigen Fällen leben und zukünftig im Zuge der weiteren Automatisierung und Digitalisierung zwingend leben sollten.
Übrigens, was die Leute mit dieser neuen Freiheit so anstellen, könnt ihr von den bisherigen Gewinnern der Initiative „mein Grundeinkommen“ hier erfahren.
[2] http://t3n.de/news/elon-musk-grundeinkommen-763658/
Artikelbild: Unsplash, Kyson Dana