Soziales

Risiko Isolation: Corona und die Psyche

Corona Psyche Nachhaltig sein
Geschrieben von Gast
Silvia Hammer

Unser Gastartikel stammt von Silvia Hammer. Sie ist Life Coach und spezialisiert auf Stressbewältigung durch Emotions-Coaching und persönliche Entwicklung. Als Bienenhalterin und Nachhaltigkeitsverfechterin ist sie unserem Blog schon längere Zeit verbunden. Ihr Leitgedanke zum Thema Umweltschutz: Stressbewältigung hilft auch dem Planeten, denn zufriedene Menschen konsumieren weniger und leben nachhaltiger.

In den Medien und hiesigen Beiträgen zu Corona/Covid-19 ist immer von der „Risikogruppe“ die Rede. Dabei zielt der Begriff ganz klar auf körperliche Risikofaktoren ab: ein geschwächtes Immunsystem, anfällige Atemwege, Vorerkrankungen, Altersschwäche, etc. Aber sind Leute mit psychischen Belastungen nicht auch eine Risikogruppe, frage ich mich. Menschen mit depressiven Neigungen oder Angststörungen, Menschen die schon vor dem Ausbruch des Virus in einer persönlichen Krise gesteckt haben, und sich bisher vielleicht über Wasser konnten, aber jetzt wird es richtig eng?

Und was ist mit Einsamkeit? Etwa 20% der Menschen in Deutschland leben in Single-Haushalten. Die meisten haben zum Glück kein Problem damit, allein zu sein. Aber manche eben schon, und einige sogar sehr. Jetzt umso mehr. Meiner Meinung nach wird Einsamkeit schwer unterschätzt und die Isolation durch die momentanen Einschränkungen (so vernünftig sie auch sein mögen) können manchen durchaus gefährlich werden. Und wir wissen nicht genau, wen es betrifft.

Husten oder Atembeschwerden merkst du einem Menschen meistens deutlich an. Nur wie kriegst du mit, ob jemand einsam, deprimiert oder depressiv ist, wenn du ihn nicht siehst und er es nicht direkt äußert?

Achtet deshalb in eurem Umfeld bitte nicht ausschließlich auf körperliche und offensichtliche Risikofaktoren. Achtet auch auf die emotionale Verfassung, auf Anzeichen für seelische Probleme bei Leuten mit denen ihr redet. Nicht nur bei Alleinlebenden oder älteren Leuten, auch bei Menschen, bei denen ihr es vielleicht nicht vermuten würdet. Lieber einmal mehr nachgefragt.

Und genauso beobachtet bitte auch euch selbst.

Sich nicht frei überall hin bewegen zu können, „Social Distancing“, nicht die Leute treffen können, die man mag und seine Hobbys ausüben: Daheim fällt einem die Decke auf den Kopf, man fühlt sich machtlos, überfordert, verunsichert. Das sind Arten von Stress, die schon für normal belastbare Menschen eine große Herausforderung sind.

Ich möchte gern aufrufen: Lasst uns tun, was wir können, um deprimierte, depressive, einsame oder angstvolle Menschen besser aufzufangen. Diejenigen, die x-mal am Tag einkaufen gehen, weil sie es sonst zuhause nicht aushalten. Oder die, die sich aus Angst komplett von der Außenwelt abwenden – oder wie auch immer es sich äußert.

Wenn ihr mitbekommt, dass jemand in eurem Umfeld gerade mit solchen Zuständen kämpft: Das muss nicht gleich ein dramatisches Ausmaß haben, aber es schadet bestimmt nicht, genau hin zu hören, was Sache ist.

Ich meine damit nicht, dass du zum Therapeuten werden sollst und du musst auch nicht das Problem für die Person lösen. Es geht mehr darum, dass die Betroffenen sich wahr- und ernst genommen fühlen. Schon das Zuhören hilft.

Vielleicht sind dann diese Fragen nützlich:

  • Was kann die betroffene Person jetzt für sich tun? Was hat sie bisher so an Selbstfürsorge betrieben und was davon kann sie auch weiterhin tun? So etwas wie raus in die Natur spazieren gehen, sich auspowern, Musik, Filme, Bücher, etc.
  • Wo kann sie sich noch weitere Anregungen holen?
  • Mit wem könnte sie sich besser vernetzen und mehr austauschen?
  • Hat sie einen Plan, falls der Zustand schlechter wird, z. B. eine Telefonliste (siehe unten)?

Wenn du selbst dich gerade einfach beschissen fühlst: Nimm dich bitte selbst ernst, das ist echt legitim. Es muss ja nicht heißen, dass sich ein psychisches Problem entwickelt, aber spiel es bitte auch nicht herunter, okay? Allein sich jemandem mitzuteilen kann eine große Erleichterung sein. Deshalb ruf jemanden an und sprich dich aus. Du darfst das. Du würdest es auch jedem anderen zugestehen. Danach kannst du immer noch schauen, wie es dir geht und was du vielleicht noch brauchst.

Die Sofort-Maßnahme ist, raus in die Natur zu gehen und sich körperlich zu bewegen. Das hilft übrigens nachweislich, schlechte Stimmung zu heben (in der Natur fühlen sich Menschen eher in etwas „Ganzes“ eingebunden). Einmal rausgehen hilft zwar nicht langfristig, aber dafür ziemlich schnell und zuverlässig. Für jetzt.

Hier sind Anregungen für eine persönliche Telefonliste aufgelistet. Am besten „lowtech“ auf Papier an einem gut sichtbaren Ort aufhängen. Mach es einfach.

  1. Nummer von einem oder mehreren engen Freunden/Freundinnen, die du anrufen wirst wenn es dich überschwemmt. Du kannst ihnen ruhig vorher ankündigen, dass sie auf deiner Liste stehen (die meisten werden sich geschmeichelt fühlen).
  2. Nummern von deiner Family: Mutter, Vater, Geschwister oder der Person, zu der du einen guten Draht hast.
  3. Nummer von einem/einer guten Bekannten, den/die du vielleicht nicht oft triffst, aber wo es dir trotzdem leicht fällt, offen zu sprechen. Scroll mal deine Kontakte durch.
  4. Falls der Punkt kommen sollte, an dem es akut emotional bergab geht: Dafür gibt es auch Dienste und Hotlines, die man anrufen kann. Dann nimm diese Liste mit auf (bitte auch gleich ins Telefon einspeichern):
  5. Deutsche Depressionshilfe: Tel. 0341/ 2238740 (https://www.deutsche-depressionshilfe.de)
  6. Bundesweite Notruf-Hotline für psychische Krisen 0800 /111 0 111 und 0800 / 111 0 222 (rund um die Uhr, top-ausgebildete Leute)
  7. Rufnummer für Kinder- und Jugend Tel. 0800 / 111 0 333 (Mo. – Sa. 14:00 – 20:00 Uhr)
  8. Für Österreich: Tel. 142 (rund um die Uhr)
  9. Für die Schweiz: Tel. 143 (rund um die Uhr)
  10. Ärztlicher (psychiatrischer) Bereitschaftsdienst: bundesweite Tel. 116 117, oder tagsüber geht auch der eigene Hausarzt
  11. Noch mehr Kontaktmöglichkeiten: https://www.telefonseelsorge.de

Ich hoffe sehr, dass es für die meisten nicht relevant wird. Aber bitte helft mir, die Wachsamkeit für dieses Thema mehr ins Bewusstsein zu rücken. Es ist wirklich wichtig. Experten zufolge stehen wir noch relativ am Anfang der Krise, womöglich kommt da noch einiges auf uns zu. Hoffentlich nicht, aber seien wir einfach so gut wie möglich vorbereitet, einverstanden?

In diesem Sinne, danke für euren Support, eure Bereitschaft anderen und euch selbst zu helfen und ganz liebe Grüße, Silvia.

Der Artikel ist ursprünglich erschienen auf Silvias Blog.

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