In der NDR-Dokumentation „Die Altkleider Lüge“ wird das Thema Altkleider aufgegriffen. Der Vorwurf: Deutsche Altkleider zerstören die afrikanische Textilindustrie. Die Sichtweise ist beim länger drüber nachdenken aber sehr einseitig und sucht die Schuld meiner Meinung nach bei den Falschen bzw. lenkt von den wesentlichen Dingen ab. Ich habe daraufhin das Gespräch mit dem in der Dokumentation interviewten Pailak Mzikian von der Soex Group gesucht und eine umfangreiche Recherche gestartet.
Nachfolgend ist daher die andere Wahrheit über Altkleider anhand von 10 Thesen.
Fakt 1
Sobald wir uns dazu entscheiden, die Kleidung nicht mehr tragen zu wollen, ist es Müll. Nur weil wir die Kleidung in einen Sammelcontainer werfen, tun wir damit noch lange nichts Gutes. Aber: Wir geben der Kleidung eine zweite Chance. Denn was kann besser sein als den Lebenszyklus der Kleidung, die eigentlich Müll war und kaum zu recyceln ist, zu verlängern.
Fakt 2
Es herrscht eine gewisse Intransparenz in Bezug auf die Sammelcontainer. Viele Spender wissen nicht was mit der eingeworfenen Kleidung passiert. Und (wie in anderen Bereichen auch) gibt es auch hier schwarze Schafe, d.h. illegal aufgestellte Container. Das spricht aber nicht gegen das Prinzip der Sammelcontainer. Hier ist aber Vorsicht geboten und man sollte auf die Logos des Roten Kreuzes, von Fairwertung oder der Johanniter achten. Unter fairwertung gibt es eine Übersicht der seriösen Sammler.
Fakt 3
Dennoch: Wir werfen zu viel Kleidung weg ! So fallen jedes Jahr in Deutschland 750.000 Tonnen Textilien an (1996 waren es noch 615.000 Tonnen). 30-40% der in die Sammelcontainer geworfenen Kleidung ist noch tragbar. Würde man sie auf eine Wäscheleine hängen, ginge diese von der Erde bis zum Mond (ca. 400.000km). Nachhaltig ist das nicht.
Fakt 4
Es ist utopisch zu glauben, dass unsere 750.000 „gespendeten“ Tonnen von charitativen Einrichtungen sortiert (z.B. Daunenjacken werden in Afrika nicht gebraucht), über Spendengelder finanziert in die jeweiligen Regionen/Länder transportiert und dort an die Armen verteilt werden können. Deswegen ist es auch effektiv, dass die charitativen Einrichtungen die Kleidung verkaufen, um mit dem Geld in anderen Bereichen Gutes zu tun.
Fakt 5
Recycling von Kleidung, insb. von Schuhen, ist extrem schwierig. Was nicht in Secondhand-fähig ist, wird zu Fasern für Putzlumpen und Dämmplatten recycelt bzw. verarbeitet oder landet in der Müllverbrennung. Aus alter Kleidung neue Kleidung herzustellen (quasi „echtes“ Recycling), findet nur zu geringem Maße statt. Denn mehr als 50% unserer Kleidung besteht aus Chemiefasern. Zu deren Verwertung ist eine große Menge Energie notwendig. Kleidung aus Primärrohstoffen wäre deutlich umweltschonender wiederverwertbar.
Fakt 6
Von der in die Sammelcontainer geworfenen Kleidung sind wie oben erwähnt 30-40% tragbar und können als Secondhand verkauft werden. Aus 40-50% der Kleidung werden Dämmmaterialien und Putzlappen hergestellt und vom Sortierer an entsprechende Verwerter verkauft. Der Rest von ca. 20% der Kleidung muss gegen Geld entsorgt werden (Müllverbrennung). Aufgrund der niedrigen Preise ist ein kostendeckendes Arbeiten der Sortierer nur durch den Verkauf der tragbaren Kleidung möglich.
Fakt 7
97% unserer Textilien in Deutschland sind Importe. Die Textilindustrie in Deutschland ist damit produktionsseitig kaum existent. Dies hat viele Gründe. Einer der Hauptgründe ist die Billig-Produktion in China, Bangladesch & Co. Sie sind die direkten Konkurrenten vom Produktionsstandort Afrika. Hinzu kommen dort die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und die schwindende Kaufkraft der Bevölkerung. Aber: Europäische Secondhand Kleidung ermöglicht der afrikanischen Bevölkerung, qualitativ gute Kleidung zu günstigem Preis zu erhalten.
Fakt 8
In Afrika und anderen Dritte Welt Ländern herrschen im Handel mit Gebrauchtkleidern durchaus Korruption, illegale Einfuhren, nicht gezahlte Zölle und die Marktmacht von Groß-Importeuren. Das sind aber grundsätzliche Probleme unabhängig der gehandelten Ware und damit kein Argument gegen Altkleiderhandel. Das Problem liegt bei den jeweiligen Regierungen.
Fakt 9
Günstige Kleidung überschwemmt in Europa den Markt. Aber günstig bekommt man nicht geschenkt. Dafür zahlen müssen die Arbeiter/innen in den asiatischen Produktionsländern: 14-16h Tage, 6 Tage Wochen, Krankheitstage müssen nachgearbeitet werden, Überstunden ohne Bezahlung und wohnen in der Fabrik sind nur Beispiele der Arbeitsbedingungen in Indien.
Fakt 10
Da eine Wiederverwertung der Altkleider für die Produktion neuer Kleidung nahezu nicht möglich ist, werden mit jedem gekauften Kleidungsstück Rohstoffe verbraucht. Unsere Rohstoffe sind allerdings endlich, so war am 22.08.2012 der Welterschöpfungstag. Wir leben somit seit diesem Tag im Jahre 2012 auf Kredit, der aber nicht rückzahlbar ist. Jeder Bürger dieser Erde, ist in seinem Interesse und im Interesse seiner Kinder gefragt umzudenken.
Was können wir Endverbraucher machen
- Wie die Werbung von Patagonia oben sagt: Nur das kaufen was wir wirklich brauchen, d.h. bei jedem Kauf sich vorher fragen:
- Brauche ich das wirklich? Wie häufig ziehe ich das an? Was passiert wenn ich es nicht habe?
- Wenn wir der Meinung sind, die neue Kleidung dennoch zu brauchen, ist es wichtig, auf gute Verarbeitung, Qualität und eine ökologisch nachhaltige Produktion zu achten. Das alte Sprichwort „wer billig kauft, kauft 2 Mal“ gilt auch bei Kleidung.
- Labels unterstützen, die auf Nachhaltigkeit Acht geben, z.B. Armedangels.
- Unsere alten T-Shirts upcyclen und neue Produkte daraus machen, hier ist ein gutes Do-It-Yourself eBook dazu.
- Unsere Altkleider sollten wir nicht in die Mülltonne werfen, sondern Freunden und Bekannten geben, zum lokalen Oxfam-Laden bringen oder in eine der ausgewiesen Sammelcontainer werfen.
- Oder andersrum können wir von Freunden und Bekannten die Kleider weiter tragen oder in Secondhand Läden gehen und dort einkaufen
Weitere Informationen zu diesem Thema
- Abgabestellen seriöser Sammler
- Kleiderkammer des Roten Kreuzes
- Liste von Secondhand-Läden
- Termine von Klamottentauschparties
- Sonderbeilage „nachhaltig leben“ von Alnatura
Weitere Artikel zu diesem Thema sind:
- Schaden Textiltransporte der Dritten Welt und welche Probleme ergeben sich durch tonnenweise Altkleider-Spenden? Andreas Voget vom Dachverband FairWertung e. V. gibt die Antworten in diesem Interview hier.
- Pelze sind in der Modeindustrie immer noch ein beliebtes Accessoire. Wieviel Umsatz dadurch erzielt wird und wie viele Tiere es weltweit betrifft verrät unsere Infografik. Weiter zum Artikel.
- Sich verändern oder geändert werden: Zwei Zukunftsszenarien darüber, wie die Welt aussehen könnte und vor welchen Herausforderungen wir stehen. Weiter zum Artikel.
Artikelbild: morguefile.com
Grafik von Patagonia
[…] unserem Kaufverhalten haben wir einen direkten Einfluss auf das Angebot und somit einen direkten Einfluss auf das was […]
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[…] zerstören die afrikanische Textilindustrie. Grund genug für eine umfangreiche Recherche zur anderen Wahrheit über Altkleider. Diese zeigt, dass die NDR-Dokumentation einseitig ist und von den wesentlichen Dingen […]
Auch eine Möglichkeit der Wiederverwendung (wenn auch bisher noch eine Nische): Upcycling. Es gibt einige kleine Unternehmen/selbständige Einzelpersonen, die aus den alten Klamotten, die teilweise nicht mehr tragbar sind, weil sie Löcher haben, neue machen. Das zu unterstützen, halte ich für sinnvoll, ganz abgesehen natürlich von dem Paradigma des geringeren Konsums.
Das Argument, dass Fairtrade zu teuer ist und man deshalb etwa als Student ‚gar nicht anders kann‘, als bei H&M oder Primark einzukaufen, stimmt übrigens auch nicht (das ist ja eine beliebte Erwiderung auf den Appell, auf die Herkunft der Kleidung zu achten): Seit ich nur noch Fairtrade kaufe, schätze ich die einzelnen Stücke mehr und kaufe entsprechend weniger, außerdem halten sie länger. Mein Konto wird deshalb nicht mehr belastet.
[…] Fragen und Antworten auf die Dokumentation reagiert. Die Website Nachhaltig sein hat ebenfalls eine Stellungnahme, inkl. praktischer Tipps, veröffentlicht. durch Altkleider gedeckt. Dies hat Konsequenzen für […]
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[…] beschäftigt, rät dazu aussortierte Klamotten an lokale Projekte zu geben, um nicht weiter die Märkte in Osteuropa und Afrika zu […]
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