CSR Lebensweise

Hilke Patzwall von VAUDE im Interview über Nachhaltigkeit in der Textil- und Bekleidungsindustrie

Geschrieben von Florian

Mit einem Umsatz von 19 Milliarden Euro in 2012 ist die Textil- und Bekleidungsindustrie eine der wichtigsten Konsumgüterbranchen Deutschlands. Sie ist stark durch die Globalisierung geprägt. In der Herstellung sind die Länder China, Türkei und Bangladesch führend. Dazu schweben Mythen und Falschinformationen im Raum.

Im Interview ist Hilke Patzwall, die seit 10 Jahren bei VAUDE – sicherlich ein Nachhaltigkeits-Pionier –  für das Thema Nachhaltigkeit verantwortlich ist. Sie hat daher sehr viele Erfahrungen und gibt uns besondere Einblicke zum Thema Nachhaltigkeit in der Textilbranche.

 

Nach der Katastrophe in Bangladesch wurde relativ schnell das internationale Abkommen Accord initiiert und u.a. von H&M, C&A, Tchibo, Primark, Aldi und Zara unterzeichnet. Was steckt dahinter?

Hilke: Es ist eine freiwillige Vereinbarung zwischen Unternehmen, die sicherlich ihre Berechtigung hat. Es regelt Arbeitsschutzthemen in Bangladesch. Das kann viel helfen. Die offenen Fragen: Wie gut wird es gemanagt? Wie ernsthaft sind die Mitglieder dabei? VAUDE ist allerdings gar nicht in Hochrisikoländern wie Bangladesch tätig.

 

Wie schätzt Du die Bedeutung von Nachhaltigkeit in der Textil- und Bekleidungsindustrie ein?

Hilke: Sehr hoch natürlich. Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind allerdings bislang weitestgehend freiwillig – leider. Es gibt politisch nahezu keine verbindlichen Vorgaben oder gar Sanktionierungen. Organisationen der Zivilgesellschaft machen punktuell gute Arbeit für Umwelt- und Sozialstandards und helfen der nachhaltigen Entwicklung, aber auch das reicht nicht aus.

Als Verbraucher hat man nur wenig Einflussmöglichkeit – z.B. durch Verzicht oder durch Kauf eines bewusst produzierten Produktes. Aber das passiert leider viel zu wenig. Oder eben durch Unternehmen, die aus innerer Überzeugung freiwillig tätig werden.

Gut wären verbindliche, strenge Vorgaben für alle Marktteilnehmer durch die Politik.

 

Das ist korrekt, ein ganz wichtiger Punkt. Und es braucht nachhaltig agierende Unternehmen.

Hilke: Ja, auf jeden Fall. Doch besteht eine Wettbewerbsverzerrung, da es kaum Anreize für ein nachhaltiges Wirtschaften gibt. Wer was macht, muss das selber und aus eigener Kraft machen. Die Ressourcen für die Umsetzung der Maßnahmen müssen ja auch erwirtschaftet werden. Zumindest ist das bei VAUDE so – wir investieren aus eigener Kraft in Nachhaltigkeit.

Dazu ist es schwer, dass manche, die mehr Geld fürs Marketing ausgeben, auch wenn sie weniger oder kaum etwas machen (Greenwashing), mehr verkaufen. Das ist ungerecht.

Als eine Gesellschaft kann man das nicht wollen.

Am Beispiel VAUDE: Seit 10 Jahren sind wir an dem Thema Nachhaltigkeit. In den letzten Jahren werden wir dafür erst so richtig für wahrgenommen.

 

Das hat sicherlich viel Kraft gekostet.

Hilke: Viel Kraft, Zeit und Geld und damit auch entgangener Profit. Zudem einen langen Atem und eine gewisse Hartnäckigkeit, um nicht zu verzweifeln…

Doch wir als Industrie haben eine Bringschuld für saubere und unter ordentlichen Bedingungen hergestellte Produkte. Wie lange wollen wir denn noch warten, bis es verbindliche Vorgaben gibt? Auf die wievielte Rana Plaza Katastrophe?

Umwelt- und Gesundheitsschäden z.B. durch Chemikalien laufen eher schleichend, machen aber auch viel kaputt.

 

Die Aussage gefällt mir. Unternehmen haben eine Bringschuld – wie auch die Verbraucher. Was sind die größten Herausforderungen für Unternehmen in der Textilindustrie im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung?

Hilke:
Die chemischen „Zutaten“
Es gibt viel zu wenige Vorgaben zur Nutzung der chemischen Substanzen. Aus gutem Grund macht Greenpeace daher eine Detox-Kampagne. Relevante – im Sinne ihrer Gefährlichkeit für Mensch und Natur – Substanzen werden auf nationaler/europäischer/internationaler Ebene zu wenig reglementiert. Unternehmen können sie trotz bekannter Gefahren weiterhin nutzen. Bekanntestes Beispiel hierfür sind die PFC/Fluorcarbone, die seit vielen Jahre für die Imprägnierung von Textilien eingesetzt werden, um sie schmutz- und wasserabweisend zu machen:  Es ist lange bekannt, dass sie stark gesundheitsschädlich sind, sie sind aber nach wie vor erlaubt, obwohl es Alternativen gibt. Oder die Weichmacher im Kunststoffen – überall ums uns herum, obwohl man weiß, wie gefährlich sie sind.

Die Lieferkette
Hier spielt die Musik. Entscheidend ist die Transparenz über mehrere Wertschöpfungsstufen hinweg. Und das ist gar nicht so leicht. Die Lieferanten müssen befähigt werden, bewusster zu produzieren. Hilfe zur Selbsthilfe ist gefragt. Denn meist sehen sie zunächst gar nicht, dass sie Hilfe brauchen. Wir investieren hier viel Energie, um sie zu sensibilisieren und zu schulen. Wenn ihnen die Themen erst bewusst sind, machen die meisten sofort mit, weil sie den Benefit für ihr eigenes Unternehmen, ihre Mitarbeiter und ihre Community erkennen.

Kreislaufwirtschaft / Circular Economy
Aus einer alten Jacke ein neues Kleidungsstück zu machen. Doch dieses Thema steht noch ziemlich am Anfang. Wir hoffen sehr, dass hier vor allem technisch noch viel passiert, so dass gebrauchte Kunststoffe effektiver als bisher sortenrein getrennt und zu neuen Materialien gemacht werden können. Entscheidend ist auch die entsprechende Infrastruktur, um Rohstoffe zu sammeln. Die meisten unserer Kleidungsstücke sind theoretisch recycelbar, da sie aus Polyester oder Polyamid gefertigt werden. In der Praxis findet das mangels Infrastruktur bisher viel zu wenig statt.

 

Bietet VAUDE eine Rücknahme alter Kleidung an?

Hilke: Wir haben schon vor über 20 Jahren mit Ecolog Recycling ein Rücknahmesystem geschaffen. Aber es wurde kaum wahrgenommen, es kamen kaum Produkte zurück. Daher haben wir unser eigenes Rücknahmesystem wieder eingestellt und setzen stattdessen auf Kooperation – in Deutschland z.B. mit FairWertung, einem Dachverband von gemeinnützigen Organisationen.

Wir empfehlen unseren Kunden, ihre gebrauchten Produkte an Fairwertung zu spenden. Und auch wir selbst spenden alle Produkte, die noch brauchbar sind, aber nicht mehr verkauft werden können, an Fairwertung. Das ist bei jedem Textilunternehmen eine durchaus beachtliche Menge. Meist werden sie einfach nur weggeworfen.

 

infografik-greenshape_text-version_dWie stehst Du zu Öko-Gütesiegeln?

Hilke: Es gibt wahnsinnig viele, was es für Konsumenten echt unübersichtlich macht. Jedes Siegel / jeder Standard hat einen bestimmten Fokus und deckt nicht alle Aspekte ab. Doch besser ein Gütesiegel/Zertifikat als gar keine Kommunikation von Öko-Benefits am Produkt.

VAUDE hat vor einigen Jahren selbst ein Siegel erfunden, weil es eben keines gibt, was alle unsere Produkte abdeckt: VAUDE Green Shape. Die Kriterien umfassen den gesamten Produktlebenszyklus.

 

Wie geht VAUDE mit Bestandteilen um, die vom Tier stammen?

Hilke: Ein sehr wichtiger Punkt. Daunen haben tolle Eigenschaften und sie sind – nüchtern betrachtet – ein „nachwachsender Rohstoff“. Der Tierschutz spielt eine wichtige Rolle. Wir setzen daher auf den Responsible Down Standard – ein Multi Stakeholder Standard.

Bei Wolle sind wir in der Umsetzung des RWS Responsible Wool Standard. Doch wir benutzen kaum Wolle, daher war es bisher kein Fokus.

Pelze verarbeiten wir gar nicht. Es gibt keinen Standard. Tierschutz und eine bewusste Haltung sind in der Pelzproduktion nahezu nicht existent.

 

Was genau macht VAUDE in Sachen Nachhaltigkeit besser als die normal (unbewusst) agierenden Hersteller?

Hilke: Eine tiefe strategische und operativ belastbare Verankerung im Tagesgeschäft seit 10 Jahren. Dies betrifft neben der Produktion auch das Headquarter vom Bio-Fair-Trade- Kaffee über den Fuhrpark bis zum Energiemanagement

2013_06_vaude_china_produktion_4297Eine langjährige Geschäftsbeziehung mit unseren Lieferanten, nur dies ermöglicht eine nachhaltige Entwicklung. Als Mitglied der Fair Wear Foundation haben wir inzwischen den Leader Status dort erreicht: 99% unseres Produktionsvolumens stammt von Produzenten, die im Monitoring der Fair Wear Foundation sind. Mit eigenen Empowerment-Projekten und einer Zusammenarbeit mit anderen Marken, die bei den gleichen Produzenten tätig sind, können wir effektiv für gute Arbeitsbedingungen sorgen.

Wir haben mit GreenShape sogar den Bluesign®-Standard noch strenger ausgelegt, u.a. in Bezug auf die Verwendung chemischer Substanzen wie Fluorcarbone, und haben ein internes System mit konsequent strengen Vorgaben entwickelt. Die Kriterien dazu legen wir offen. Sie stehen im Nachhaltigkeitsbericht.

Stakeholder Involvement. Wir stehen in engem Austausch mit NGOs, Politik, Medien und Universitäten. Wir haben einen runden Tisch, um zu besprechen, was jeder in welcher Form beitragen kann. Wir fragen nicht nur nach dem Was, sondern auch nach dem Wie.

CO2-Kompensation: Trotz aller Optimierungen bleiben CO2-Emissionen über. Diese stellen wir klimaneutral.

 

Prima. Was sind für VAUDE die Zukunftsthemen?

Hilke: Noch haben wir 4-5 Jahre Vorsprung bei obigen Themen. Doch der Abstand wird hoffentlich kleiner werden, je höher der Level an Nachhaltigkeit in der Branche insgesamt wird… Trotzdem haben wir noch jede Menge Hausaufgaben, vor allem in der Lieferkette.

Die zukünftigen Herausforderungen sind für uns Postwachstum, grüne Technologien und Kreislaufwirtschaft.

 

Eine Frage habe ich noch. Was sind Deine persönlichen Tipps für einen nachhaltigen Kleidungskauf?

Hilke: Ich möchte nicht ständig mit schlechtem Gewissen rumlaufen, auch nicht beim Einkaufen. Man darf sich nicht den Spaß an schönen Produkten verderben lassen. Aber „schön“ heißt eben nicht nur optisch schön, sondern vor allem will ich lange Freude daran haben. Also lieber weniger und seltener „Krusch“ kaufen, dafür kann man sich dann auch wirklich immer mal wieder was richtig Schönes gönnen. So bleibt der Kleiderschrank übersichtlich, der eigene Style authentisch und man hat mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge 😉

 

Liebe Hilke, herzlichen Dank für das spannende Gespräch. Dir und VAUDE wünsche ich weiterhin viel Erfolg.

Mehr zu VAUDE und deren Maßnahmen inkl. interessanter Videos gibt es hier. Der Nachhaltigkeitsbericht 2015 ist online verfügbar.

 

Fotos: VAUDE