Wir müssen die gesundheits- und umweltschädlichen Subventionen abbauen.
Nach Gregor Gysi haben wir einen weiteren Politiker „vor das Mikro“ bekommen und konnten ihm unsere sieben Fragen stellen. Marco ist seit 2002 Bundestagsabgeordneter für Dortmund. Seine politischen Schwerpunkte sind soziale Gerechtigkeit, Demokratie, Transparenz & Lobbyismus sowie Umwelt.
Was bedeutet für dich Nachhaltigkeit?
Nachhaltigkeit bedeutet für mich, die Natur und die natürlichen Ressourcen wertzuschätzen und schonend mit ihnen umzugehen. Wir haben nur eine Erde und wir müssen sie genauso reichhaltig wie wir sie geschenkt bekommen haben den nachfolgenden Generationen übergeben.
Was tust du, um nachhaltiger zu leben und wie (auf einer Skala von 1-10) bewertest du deine bisherigen Bemühungen?
Ich fahre viel Fahrrad und mit der Bahn, esse sehr wenig Fleisch, kaufe regionale und teilweise Bioprodukte. Für einen Politiker fliege ich selten und wenn, dann gleiche ich den CO2-Wert durch Spenden aus. Mein Strom ist selbstverständlich Ökostrom und ich habe mir extra ein spritsparendes Auto gekauft. Außerdem achte ich darauf, Plastik zu vermeiden, ob beim Einkauf oder bei der Benutzung von Mehrweg-Kaffeebechern. Ich trinke zu Hause nur Wasser aus dem Hahn und kaufe sonst nur Mehrwegflaschen. Dennoch ist mein ökologischer Fußabdruck zu groß. Einige Dinge müsste aber auch die Politik regeln – und ja, wir müssten dazu auch strengere Regeln erlassen. Dafür engagiere ich mich.
Wo siehst du noch eigenes Verbesserungspotential und was sind deine nächsten Nachhaltigkeits-Ziele?
Mein persönliches Ziel ist, dass ich durch meine Arbeit als Politiker in Sachen Umweltpolitik mehr bewege. Das nächste gesellschaftliche Nachhaltigkeitsziel sollte sein: 100% erneuerbare Energien. Wir können nicht noch jahrelang fossile Rohstoffe verbrennen, wo wir doch wissen, dass dies die Sache nur noch schlimmer macht. Außerdem müssen wir die gesundheits- und umweltschädlichen Subventionen abbauen. Jährlich fließen mehrere Milliarden Euro aus der Kasse des Bundes in zerstörerische Geschäftsmodelle (z.B. Energiesteuerbefreiung des Kerosins für Flugverkehr und Mehrwertsteuerbefreiung für internationale Flugtickets). Großen Handlungsbedarf sehe ich auch beim Thema Insektensterben und Artenvielfalt. Selten, wenn man von der gefährdeten Biene spricht, wird man ernst genommen. Meinen persönlichen Beitrag möchte ich erhöhen, indem ich beispielsweise mehr Verzicht übe, deutlich weniger kaufe und versuche, Dinge eher zu reparieren.
Welchen Tipp hast du in Sachen nachhaltiger Lebensweise für unsere Leser?
Da ich Berufspolitiker bin, weiß ich, dass Wählerinnen und Wähler ein bedeutendes Druckmittel in der Hand haben, wenn sie von ihren Abgeordneten eine mutigere Umweltpolitik einfordern. Man kann sich mit seinem Anliegen an die Büros der Abgeordneten wenden: per Mail, Brief oder über www.abgeordnetenwatch.de. Es ist ein guter Weg, um die Position der Abgeordneten zu erfragen, Argumente für mehr Umweltschutz hervorzubringen und deutlich zu machen, dass diese Themen in der Bevölkerung als wichtig angesehen werden. Auch öffentliche Demos wie beispielsweise die der #FridaysForFuture-Bewegung erzeugen Druck auf Politikerinnen und Politiker.
Welchen Wunsch hättest du an die Politik?
Ich bin seit 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages. Mir ist in den vielen Jahren immer mehr bewusst geworden, dass der mangelnde Fortschritt in Sachen Nachhaltigkeit sehr viel mit dem ausufernden Lobbyismus in Deutschland zu tun hat. Und mit dem fehlenden Willen der Regierung und teilweise auch der Abgeordneten, diesen Lobbyismus zu begrenzen bzw. aktiv mehr zivilgesellschaftliche Akteure einzubeziehen. Seit vielen Jahren kämpfe ich deswegen für eine Eingrenzung des Lobbyismus. Vor kurzem blockierte die Bundesregierung in der EU schärfere CO2-Flottengrenzwerte für Autokonzerne. An ein Verbot von Verbrennungsmotoren wie in anderen Ländern ist dank der starken Lobbyverflechtungen in Deutschland gar nicht zu denken. Die Autoindustrie steht immer an erster Stelle. Die Bundesregierung hat inzwischen eingestanden, dass Deutschland seine Klimaziele 2020 nicht erreichen wird. Es gibt Schätzungen, nach denen Deutschland bis 2030 bis zu 60 Milliarden Euro für CO2-Zertifikate ausgeben muss, um das zu viel ausgestoßene Kohlendioxid zu kompensieren. Es bewegt sich einfach viel zu wenig. Ich wünsche mir, dass wir Verantwortlichen endlich die Notwendigkeit von aktiver Umweltpolitik begreifen.
Welche Vorbilder, welches Vorbild hast du – und warum?
Es ist kein Vorbild, aber ein Ereignis, welches mich zum Umweltaktivisten gemacht hat: die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986. Ich war damals Schüler und ich habe mich gefragt, warum die Erwachsenen so dumm sind, eine Technologie einzusetzen, die ihre Kinder so maßlos gefährdet und den Planeten unbewohnbar macht. Gibt es denn keine Alternativen? Wie kann man denn so kopflos ein ganzes Ökosystem zerstören? Dieser Gedanke hat mich nie wieder losgelassen. Ich habe verstanden, dass insbesondere Risiken und langfristige Effekte nicht zu unterschätzen sind. Und wenn ich eine Person nennen muss, dann ist es Hermann Scheer, ein unermüdlicher Kämpfer für eine solare Weltwirtschaft, der mit seinem Engagement Vieles erst ins Rollen gebracht hat.
Welche Organisationen unterstützt du?
Marco Bülow – April 2019
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