Natur Umdenken

Unkraut vergehe nicht! – Eine Hymne auf den Begleitwuchs

Geschrieben von Gast

Unkraut. Ich muss da sofort an die Kindersendung von Peter Lustig denken. Könnt ihr euch auch an das großartige Intro erinnern? Wie sich ein junger Löwenzahnkopf durch die graue Asphaltdecke bohrt und raketenartig in die Höhe schießt? Die Pflanze bildet Blütenkopf und Blätter aus, dann weitet sich die Perspektive: Eine eher triste Straße, die, plopp, plopp, plopp, im Handumdrehen von kleinen Löwenzahnkolonien erobert wird. Überall sprießt es in frischem Grün und Gelb – auf der Straßenlaterne, überm Gully, natürlich am Gehweg und sogar auf den Autodächern. „Löwenzahn!“ Für mich eines der besten Intros der Fernsehgeschichte.

Das Intro illustriert nebenbei auch wunderbar eine der schönsten deutschen Redewendungen: Unkraut vergeht nicht. Im Fall des Löwenzahns ändert es höchstens seine Form: Die dottergelbe Blüte wird zur fragilen Schönheit der Pusteblume.

Artenvielfalt unerwünscht?

Zum landläufigen Begriff des Unkrauts zählen neben dem prominenten Löwenzahn auch  viele weniger bekannte Arten wie zum Beispiel das kleinblütige Knopfkraut, der Ampfer, das Hasenohr, der Ackerwachtelweizen oder die Quecke. „Wir nennen diese Pflanzen auch Ackerbegleitflora“, sagt Franz Aunkofer. „In der konventionellen Landwirtschaft sind sie unerwünscht. Aber die Begleitflora ist wichtig für die Mikroorganismen in der Erde und hält somit den Boden fruchtbar.“ Aunkofer, Biobauer der ersten Stunde, bewirtschaftet zusammen mit Sohn Simon seine Felder an den Ufern der niederbayerischen Donau bei Kelheim.

Kürzlich haben beide den niederbayerischen Ackerwildkraut-Wettbewerb gewonnen. Mehr als 50 Arten wachsen auf den Feldern der Aunkofers, darunter auch das sehr seltene Rispen-Lieschgras. Für die Biobauern reichen die klassischen Bewirtschaftungsmethoden aus: Fruchtfolge, Zwischenfruchtanbau mit Klee – und natürlich der Einsatz von Pflug und Grubber: „So gelingt es uns leider nicht, oder man muss vielmehr sagen, Gott sei Dank nicht, alles Unkraut zu bekämpfen.“ Es ist eben alles eine Sache der Balance.

Taubnessel, Vogelmiere, Gundermann, Beifuß und Giersch. Auch für den Berliner Koch Micha Schäfer sind das keine fremden oder unliebsamen Zeitgenossen. Zusammen mit seinem Team bringt der Küchenchef des Spitzenrestaurants „Nobelhart und Schmutzig“ die Vielfalt der Wiesen auf die Teller seiner Gäste. Besonders gern verwendet er Gundermann: „Ich mag seine unvergleichbare, herbe Note und nimm ihn so her, wie die Italiener das Basilikum: zu Fleisch und Fisch, zum Gemüse und sogar für die Desserts. Der Gundermann ist ein Alleskönner.“ Auch dem bei Hobbygärtnern ungeliebten Giersch ist Schäfer sehr zugetan: „Als ganz junges Pflänzchen schmeckt Giersch megafrisch und belebt die Zunge!“ Reich an Vitamin C, Kalium und Eisen ist er obendrauf. Wer Unkraut loswerden will, esse es doch bitte einfach auf!

Der stumme Frühling

Unkraut beschert uns aber nicht nur fruchtbare Böden sowie extravagante und gesunde Gaumenfreuden. Mindestens genauso wichtig: Es ist eine existentielle Nahrungsquelle für Kleinstlebewesen. Und ohne diese bleibt der Frühling stumm. Das ahnte die US-Biologin Rachel Carson schon lange voraus, als sie bereits 1962 in ihrem futuristischen Ökobestseller „Silent Spring“ schrieb: „Einst hatte in der frühen Morgendämmerung die Luft widergehallt vom Chor der Wander- und Katzendrosseln, der Tauben, Häher, Zaunkönige und unzähliger anderer Vogelstimmen, jetzt hörte man keinen Laut mehr…“.

Es gibt kein Unkraut

Das Dumme an der ganzen Sache ist nur, dass die Pflanzen all dies in größter Bescheidenheit tun: Kaum jemand bringt die Taubnessel mit dem Lerchengesang in Verbindung. Und wer denkt schon bei der Vogelmiere an gute Böden? Nur so kann ich mir erklären, dass sich ihr irreführender Sammelbegriff so lange gehalten hat: Un-Kraut.

Das Wort ist deplatziert für die kleinen, aber großartigen Gewächse. Sie sind Meister der Anpassung, überstehen widrigste Zeiten. Und, sollten es ihrer dann doch mal zu viele werden, helfen sie uns sogar beim Entschleunigen. Jede Wette, schon bald wird „Unkrautzupfen für gestresste Investmentbanker“ als Seminar angeboten werden.

Doch zurück zum Kern der Sache: Dass sich der Name „Begleitwuchs“ nicht als neues Wording durchsetzen wird, geschenkt. Aber wie wäre es mit „Wildkräuter“? Oder, anderer Vorschlag: Wir radieren von dem „n“ ein kleines Stückchen weg – und machen aus dem Un- ein – Ur-kraut? Meine Prognose ist allerdings, wenn ich ehrlich bin, dass alles ziemlich beim Alten bleibt. Unkraut vergeht eben nicht – zum Glück!

 

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Text von Philipp Hauner (philipp.hauner[at]gmx.de)
Erstveröffentlichung im Mitglieder Magazin der Grünen, Ausgabe 04/2018

Foto: Anthony Reungère, unsplash.com