Nicht nachhaltige Entwicklungen waren wohl zu keiner Zeit seit Ausgang des 2. Weltkrieges so vielfältig, gleichzeitig virulent und schwer beherrschbar wie heute. Und nie zuvor wurden sie fortgesetzt, gründlicher und verlässlicher untersucht. In der Regel finden Studien nur ein kurzes mediales Echo. Man nennt diese Art von Ignoranz begründeter Warnungen auch das „Kassandra-Phänomen“. Zu beobachten ist auch, dass sie meist Symptome und Folgen, als ihre wirklichen Ursachen beschreiben. Wir erfahren, dass jenseits und abseits von Wirtschaftsdaten die Risiken für Unternehmen, die Wirtschaft und Gesellschaft ständig wachsen.
Das besondere Merkmal der wirklich existenziellen Herausforderungen ist, dass sie übergreifender Natur und weltumspannend sind. Niemand allein kann sie bewältigen, es geht nur kollaborativ.
Die „Weckruf“-Rede des kalifornischen Gouverneurs Jeff Brown am 13.11.2017 im Landtag Baden- Württemberg ist ein Fanal. In der Tat, wir sprechen über Umweltvergiftungen, Klimawandel, CSR usf. im einen, über Innovation, Technologien, Digitalisierung, „Klein“ gegen „Groß“, Vertrauenskultur, Bildung, Nachfolgesicherung, Gesundheit, Compliance und vieles mehr im anderen Fall. Aber im Kern dieser und vieler anderer Herausforderungen meinen wir – eigentlich – „das Leben“.
Geht es um Unternehmen und ihre Rolle als Mitverursacher von Fehlentwicklungen und als Prozessseigner bei ihrer Vermeidung und Überwindung, besteht ein allgemeiner, aber lange bekannter Konflikt. Zukunftsplanung und Führung im Denkmuster und Zielkorridor ökonomischer Wachstumsziele, Wettbewerbsstärke, Dominanz („Leadership“, „Ich gewinne …“) und Werte verengen den Blick auf entscheidende Wirklichkeiten. So sind Misfits und Risiken quasi vorgegeben. Die Folgen treffen nicht nur andere, sie werden zur Bedrohung des Lebens der Unternehmen selbst. Das Festhalten am Primat der Ökonomie ist das Paradoxon einer besonderen Gefangenschaft.
Die starren Muster der Wirtschaft
Nicht-Nachhaltigkeit ist kein zufälliges Phänomen. Die Annahme, die Zeit ließe noch Spielräume, ist der Befund einer zusätzlichen Falle. Das Momentum eines Point of no Return bedeutet, dass eine Umkehr nach Erfahrung der Katastrophe für große Teile dieses Planenten praktisch nicht mehr möglich ist. Das ist als sei der Instinkt für Vorsicht und Vorsorge verloren gegangen. Und die Ambivalenz dieses Trends: Alles verändert sich, nur das Muster des Wirtschaftens bleibt starr …(?) Dieses mit der Kompetenz einer „inklusiven Wirtschaft“ zu überwinden und ins Management zurück zu holen, erfordert eine fundamental andere Betrachtung der Dinge an sich und dem Grunde nach.
„Ein solcher Wandel wäre keine Kleinigkeit, sondern ein Paradigmenwechsel“, wie es in einem Leitartikel in der FAZ hieß (Johannes Pennekamp, 27.2.2017). Aber wenn das geschähe und gelänge, wäre dies wirklicher Fortschritt in der Verknüpfung von Effektivität, Effizienz und Tempo.
Mit der Art und Weise ihrer Führung haben Unternehmen eine zentrale Bedeutung für eine Reform und gelingende (Um)Gestaltung. Eine gute, stabile Entwicklung von „Zukunftsfähigkeit“ in der strukturellen Qualität und Breite der Wirtschaft und des Mittelstands im Besonderen sind ein Kontext. Ihre Balance steht für Wohlstand im inklusiven und ganzen nachhaltigen Sinne (Soziale Marktwirtschaft). Stellen wir uns vor, Unternehmen … jedes für sich, als Gruppe (Branche), aber letztlich als ganzes Universum … verhielten sich in der Frage ihrer nachhaltigen Existenz selbstverständlich so sicher und richtig, wie etwa nach den Regeln ordnungsgemäßer Buchführung. So wie Unternehmen das Problem in die Welt setzen, lässt sich dies auch in die andere Richtung umbrechen.
„Nachhaltigkeit“ ist in dieser Frage von (Ko)Existenz und Koevolution nicht der eine oder andere Aspekt bzw. Teil (auch Symptom), sondern die Gesamtheit der Bedingungen für das Leben, ihrer Vernetzung und einer ständig intakten Symbiose. Sie bestimmt sich an der Quelle der Entstehung. Ihre auslösende Kreation und folgerichtige Umsetzung entsteht in der Voraussetzung und im Ergebnis einer wachsenden Synergie von partnerschaftlicher Teilhabe (Mit-Unternehmertum), gesamtökologischer Betrachtung und Integration, wirtschaftlicher Problemlösungskompetenz und Leistungsstärke sowie gesellschaftlicher Akzeptanz und Anerkennung (Marke und Image).
Innovation und eine Strategie fürs Leben
Strategie bzw. strategisches Management steht hier für die Grundaufgabe der Sicherung der Lebens- und Überlebensfähigkeit (auch: „Unternehmenserhalt“). Hier laufen die Fäden zusammen. Alle anderen Prozesse leiten sich von da her ab. Eine in dem Sinne konforme, gute Unternehmensführung ist das Leitbild und Maß für nachhaltige Existenz und Entwicklung. Sie verbindet sich bzw. ist so etwas wie die Drehscheibe für „richtige“ Innovationen und (Des)Investitionen: Mit einem Höchstmaß an Effektivität, Effizienz, Schnelligkeit und dem Kontiniuum richtiger Umsetzung und Verfolgung.
Und wenn das Gute im Menschen angelegt ist, kann es sich auch entfalten. Die Herausforderung, diese Option systemisch, inklusiv zu bewältigen, bedeutet „sustain“. Mit anderen Worten: Die Innovation einer Strategie für das Leben oder die Innovation der strategischen Transformation. Sie hat zuerst mit den beteiligten Menschen zu tun. Und allen voran dem Menschen im Unternehmer, Manager, Managementteam usf. Um ihrer selbst Willen und zum allgemeinen Wohl. Eine „S“-Kompetenz, die kein Unternehmer allein besitzen kann: Der Kompass für Strategie und Synergie, für Selbstwirksamkeit, -sicherheit und Stärke – für das Gegenteil von Stillstand, Schwäche usf.
Wunsch und Wirklichkeit. Wirklichkeit und Wahrnehmung. Strategische Methoden helfen, um diese Stimmigkeit Schritt für Schritt zu erzeugen. Über alle Dimensionen der Lebensaufgabe betrachtet und behandelt. Dieser Prozess lässt sich beschreiben, definieren, erfahren und gestalten. Er erfasst in der Folge die ganze Organisation und „durchströmt“ das Unternehmen im Modus eines offenen Lernens. Als Person, im internen Miteinander und im Verhältnis nach Außen. Und mit weit reichender Wirkung. Ständig wach und bereit für Verbesserungen und Erneuerung, aktiv in der Fähigkeit ihrer schnellen Verwirklichung bzw. Anpassung. Immer an der Schnittstelle zwischen Bewahren und Verändern.
Der Gastautor dieses Artikels ist Hubertus Wolf, Bankkaufmann und Diplomkaufmann. Nach einem Jahrzehnt in Managementpositionen startete er 1984 seine beraterische Mission mit dem Institut für Zukunftsmanagement (IFZM). Hier entwickelte Hubertus Wolf u.a. den KOMPASS S, ein IT-gestütztes Managementsystem für die gesamtstrategische Diagnose und Zukunftsagenda für Unternehmen.
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