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Interview mit Joe Mier von FairPhone: Nachhaltigkeit & Fairness

Geschrieben von Florian

Unser Handy bzw. Smartphone ist uns schon sehr wichtig: Wir würden 6 Mal schneller merken, dass unser Handy weg ist als unsere Geldbeutel. 86 Mio. alte Handys horten wir Deutsche daheim. Beim Warten z.B. an der Haltestelle sieht man kaum mehr jemanden, der nicht gerade die bekannte Wischbewegung macht. Doch stammen die Vorprodukte und Rohstoffe meist aus Niedriglohnländern. Es gibt viele umstrittene Berichte über schlechte Arbeitsbedingungen in China und über umweltbelastenden Abbau von Rohstoffen in Afrika. Bei Smartphones handelt es sich im Sinne der Lieferkette um ein hochkomplexes Produkt. Wie nachhaltig und fair ist als unser Smartphone wirklich?

 

Im Interview ist Joe Mier, Community Manager bei FairPhone.

Der Dank für das Interview geht auch an Emma Furniss und Christina Nissen.

 

Florian: Was genau ist FairPhone?

Joe:

FairPhone als “Social Enterprise” ist ein Unternehmen, das soziale Werte vor Profit stellt. FairPhone begann vor 3 Jahren als eine Kampagne der gemeinnützigen Organisation Waag Society, die auf die Probleme in der Produktion und Lieferkette von Elektrogeräten aufmerksam machen sollte. Bas van Abel, der Gründer von FairPhone, hat gemerkt, dass eine Kampagne allein wenig an der problematischen Situation ändert, vor allem weil es für den Endverbraucher gar keine fairen Alternativen gibt! Diese Alternative gibt es bald – es werden 20.000 FairPhones produziert – und schon ca. 11.000 Stück sind bestellt.

 

Florian: Smartphones wie wir sie kennen sind nicht fair zu Arbeitern und nicht nachhaltig für die Umwelt. Warum? Was sind die größten Probleme hinsichtlich einer nachhaltigen Produktion von Smartphones?

Joe:

Ein Smartphone zu bauen ist so komplex, dass wir unsere Aktionsmaßnahmen in fünf verschiedene Bereiche unterteilt haben:

1) Precious materials – Wertvolle Rohstoffe

Wir arbeiten mit der “Initiative für konfliktfreies Zinn und Tantal” und dem “Solutions for Hope” Projekt zusammen, und beziehen damit zertifiziertes konfliktfreies Zinn und Tantal für die FairPhones. Die Initiativen garantieren, dass Arbeiter unter sicheren Bedingungen arbeiten können. Zusätzlich versuchen wir die Bedingungen dort zu verbessern, z.B. indem wir Ihnen Werkzeuge zugänglich machen, die Ihre Verhandlungsposition stärkt (mehr dazu hier LINK).

2) Made with care – Mit Sorgfalt hergestellt

Mit FairPhone möchten wir Schritt für Schritt eine transparente und faire Lieferkette aufbauen. Unser Ziel ist es, langfristig orientierte Beziehungen mit unseren Zulieferern zu entwickeln. Wir arbeiten mit mehreren Organisationen zusammen, um Verantwortlichkeit und Transparenz in der Lieferkette zu verbessern. Hier geht es zum Beispiel um Mindestlöhne, angemessene Arbeitszeiten, Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und Selbstbestimmungsmöglichkeiten.

Wir haben einen Produktionspartner gesucht, der mit uns zusammen langfristig versuchen möchte, die Arbeitsbedingungen in der Fertigung zu verbessern. Das heißt unter anderem, dass eine externe gemeinnützige Organisation dort ein ‘Social Assessment’  durchführt. Auf Basis dieses Assessments werden dann Verbesserungsmaßnahmen eingeführt. Desweiteren gibt es einen Fonds, der angelegt wurde, um schrittweise die Arbeitsbedingungen verbessern zu können. Zusätzlich arbeiten wir auch mit NGOs/Initiativen zusammen, z.B. Labour Voices, um Transparenz vor Ort zu gewährleisten.

3) Smart Design – Kluges Design

Unser Motto ist, “wenn du es nicht öffnen kannst, gehört es nicht wirklich dir”. Wir versuchen ein nachhaltiges Smartphone zu bauen, das man öffnen und reparieren kann, damit es länger hält.

Smart Design für das FairPhone heißt konkret: Wechselbare Akkus, dual SIM und möglichst wenig Verpackung. Aufladegerät und Zubehör sind nicht im Kauf inbegriffen.

Wir arbeiten mit Kwame Corp zusammen, um ein benutzerfreundliches Android Smartphone zu entwickeln. Kwame ist selber ein ‘Social Enterprise’ und entwickelt informative Extras wie Energieverbrauch-Apps.

Wir möchten auch, dass Konsumenten Ihre Produkte mitgestalten können und arbeiten deswegen mit der Open-Source-Bewegung zusammen. Kompatibilität mit Ubuntu und Firefox OS ist eins unserer Ziel.

4) Clear Deals – Transparente Geschäfte

Clear Deals heißt für uns ein fairer und transparenter Preis – wir möchten, dass Kunden genau wissen, was mit ihrem Geld passiert und was in ihrem FairPhone drinsteckt.

Wir werden bald eine Aufgliederung der Kosten, Komponenten und Werkstoffe des FairPhone auf unserer Website veröffentlichen, damit alle Kunden verstehen, was sie mit Ihrem Kauf bewirken, wo Ihr FairPhone herkommt und in welche Maßnahmen wir investieren.

Wir versuchen so transparent wie möglich zu sein, damit unsere FairPhone-Gemeinschaft versteht, welche Geschichte hinter dem FairPhone steckt. Für uns ist der Weg das Ziel. So können sich alle aktiv an der Bewegung beteiligen und Ideen und Kritik anbringen.

5) Lasting Value – Beständiger Wert

Wir wollen verhindern, dass Geräte nur wenige Zeit nach dem Kauf erst im Sekundärmarkt und dann auf einer Elektroschrotthalde landen. Das Design der heutigen Smartphones mit fest verbauten Teilen heißt, dass Rohstoffe aus Elektroschrott nicht wieder zurück gewonnen und wiederverwertet werden können. Wir arbeiten mit Partnern zusammen, um das für das FairPhone möglich zu machen.

Unser langfristiges Ziel ist ein komplett recyclebares Telefon, aus nachhaltigen Materialien und ohne Plastik oder giftige Stoffe.

 

Florian: Was macht das FairPhone das bessere Smartphone? Was ist hinter der Restriction of Hazardous Substances Directive (RoHS)? Wie sichert Ihr die Transparenz im Produktionsprozess?

Joe:

Man kann FairPhone als ein Produkt aber auch als eine Geschichte verstehen, die wir aufdecken, um bei den Menschen Bewusstsein und Handlungswille zu erzeugen. Diese Geschichte ist das Besondere an FairPhone. Es ist sehr schwierig, die Elektronikindustrie zu verändern und eine fairere Wirtschaft zu schaffen – das beginnt schon mit der Diskussion, was fair überhaupt bedeutet. Wir möchten diese Diskussion anregen und so viele Personen wie möglich mit einbeziehen. Deswegen sagen wir auch, dass FairPhone mehr als ein Telefon ist, es ist eine Bewegung. Das FairPhone macht diese Bewegung greifbar.

Die RoHS Richtlinie ist ein Standard, den wir als Mobiltelefonhersteller befolgen müssen. Diese Richtlinie verbannt bestimmte umweltgefährdende Substanzen und ist für uns vor allem im Hinblick auf die Akkus relevant, die wir in unseren FairPhones verwenden.

Transparenz ist bei uns zentrales Thema. Auf der Supply-Seite entwickeln wir Transparenz mit unseren Zulieferern, indem wir langfristige Verträge abschließen und mit erfahrenen gemeinnützigen Organisationen vor Ort arbeiten, die legitime Sponsoren haben. Zum Beispiel haben wir in China eine Organisation vor Ort, die nach vielen Kriterien und auf verschiedene Art und Weise unseren Produktionspartner untersucht. Dabei bezieht sie sich auf international anerkannte Leitlinien. Auf der Kunden-Seite berichten wir ehrlich und offen über unsere Erfahrung auf dem Weg zum FairPhone z.B. über unseren Blog. Wir teilen dabei Erfolge aber auch Hindernisse und Schwierigkeiten mit.

 

Florian: Nachhaltigkeit ist zwar ein Prozess. Aber wie fair und nachhaltig kann ein Smartphone überhaupt sein?

Joe:

Wir hinterfragen, was fair überhaupt bedeutet. Es gibt keine konstante Definition und wir geben Kunden erstmalig die Gelegenheit, darüber nachzudenken und bewusst eine Entscheidung zu treffen. Diese Möglichkeit gab es vor FairPhone nicht.

Wir haben auch gemerkt, dass ein 100% faires Smartphone zur Zeit unmöglich ist – das wäre wirklich mit Weltfrieden gleichzusetzen. Das schwierigste bei der Sache ist die Komplexität und Länge der Lieferkette. Es sind in einem Smartphone ca. 30 verschiedene Stoffe enthalten und es ist sehr schwierig zu überprüfen, ob diese alle fair sind bzw. fair produziert wurden! So ist ein FairPhone nur realisierbar, wenn wir uns dem Ziel Schritt für Schritt nähern.

 

Florian: Ich habe gelesen, dass eine große Mehrheit der Newsletter-Abonnenten Deutsche sind (47% zum April 2013). Das ist super. Auf der anderen Seite spürt man politisch wenig effektive Nachhaltigkeit in Deutschland, so wurde gerade erst durch Frau Merkel ein Gesetz zur Abgasreduktion für Autos geschoben. Wie passt das zusammen? Fragen Privatpersonen nach mehr Nachhaltigkeit als Politiker bereit sind zu geben?

Joe:

Ich kann nicht im Detail zu den politischen  Ereignissen in Deutschland Stellung nehmen, aber ich denke es zeigt, dass heutzutage Firmen in der Industrie selber aktiv werden müssen, indem sie Kunden faire Alternativen anbieten.

Wir haben viele Deutsche Kunden, die an der Bewegung aktiv teilhaben und mit uns zusammen die schlechten Herstellungsbedingungen ändern möchten. So haben wir es unseren Kunden und unserer Online-Gemeinschaft zu verdanken, dass wir überhaupt soweit sind. Wir haben jetzt schon über 11.000 Stück verkauft, und noch kein FairPhone ist fertig produziert – das zeigt uns, dass es Menschen gibt, die bereit sind in Veränderung und in uns als FairPhone-Bewegung zu investieren.

 

Florian: Ist es eines Eurer Ziele als Unternehmen, die Handy-Branche nachhaltiger zu machen? Wenn ja, wie macht Ihr das?

Joe:

Unsere Arbeitsweise ist offen und kollaborativ,  und wir versuchen viele andere Firmen und Organisationen zusammenzubringen, die  ähnliche Ziele haben und wie wir soziale Werte an erste Stelle stellen. Unser Ziel ist es, das jetzige komplexe System zu öffnen und zu zeigen, was möglich ist, wenn man versucht ein faires Smartphone zu produzieren. Dabei etablieren wir mit dem FairPhone ganz neue Herangehensweisen und Methoden, die auf lange Sicht auch von anderen Mobiltelefonherstellern angewendet werden können.

 

Florian: Manche mögen jetzt denken, dass das FairPhone teuer ist und viele wesentliche Funktionen fehlen. Ist das so?

Joe:

Das erste FairPhone kostet 325,- Euro. Es ist interessant zu sehen, dass das für den einen billig ist und für den anderen teuer. Ob etwas als ‘billig’ oder ‘teuer’ empfunden wird hängt stark davon ab, mit welchen anderen ähnlichen Produkten es verglichen wird. Es stimmt, dass FairTrade zertifizierte Bananen oft teurer sind als normale Bananen. Aber Smartphones wachsen nicht an Bäumen und sind von einer riesigen Lieferkette umgeben, so dass wir gar nicht sehen können was alles im Preis von anderen Smartphones enthalten ist. Wir wissen, warum unser FairPhone diesen Preis kostet (deswegen werden wir auch bald eine Aufgliederung der Kosten eines FairPhones veröffentlichen), aber wir wissen nicht warum andere Smartphones einen anderen Preis haben. Bei der Beschaffung gehen wir nicht nach dem besten Preis sondern nach den besten ethischen Werten.

Wir mussten uns bewusst gegen manche technischen Eigenschaften entscheiden, da wir einen erschwinglichen Preis für alle beibehalten wollten. Bei diesen technischen Eigenschaften handelt es sich aber um noch nicht weit verbreitete Eigenschaften wie z.B. 4G oder NFC.

 

Florian: Wie kann ich ein FairPhone kaufen? Wie lange muss ich darauf warten? Was plant Ihr für das 2. Halbjahr 2013?

Joe:

Im Moment kann das FairPhone nur über unseren Webshop bestellt werden. Die Auslieferung erfolgt diesen Herbst. Genaueres zu Lieferterminen geben wir Anfang September bekannt.

Wir beschäftigen uns zurzeit viel mit dem Vertrieb und dem After-Sales / Kundendienst. Wenn die FairPhones da sind möchten wir auch verstärkt unsere Online-Gemeinschaft mobilisieren, um über zukünftige Verbesserungen und Interventionen zu diskutieren.

Ein großer Teil unserer Arbeit für zukünftige FairPhones liegt in der Recherche nach Verbesserungsmöglichkeiten für zukünftige FairPhones. Je weiter man die Komponenten eines Smartphones zurückverfolgt, desto größer werden Organigramme mit Lieferketten und die Entscheidungen werden immer komplexer und undurchsichtiger. Das heißt, dass wir kontinuierlich an Verbesserungen und weiteren Interventionen arbeiten müssen z.B. faires Wolfram, faires Kobalt oder faires Gold. Fair gehandeltes Gold (Halbleiter) gibt es zum Beispiel schon, aber bisher nur für Schmuck.

Wir möchten auch daran weiterarbeiten, dass Konsumenten ihre Produkte mitgestalten können und arbeiten deswegen mit der Open-Source-Bewegung zusammen.

 

Florian: Klasse. Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg ! Nachfolgend sind einige Impressionen vom FairPhone-Besuch einer Kupfermine in Afrika.


 

Artikelbild: morguefile.com

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